Literatur-Nobelpreis Literatur-Nobelpreis: Jury zeichnet türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk aus

Stockholm/dpa. - Als erster Schriftsteller aus der Türkei wirdOrhan Pamuk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. DieSchwedische Akademie begründete ihre Entscheidung am Donnerstagdamit, dass Pamuk «auf der Suche nach der melancholischen Seeleseiner Heimatstadt Istanbul neue Sinnbilder für Streit undVerflechtung der Kulturen gefunden hat.» Der 54 Jahre alte Pamuk giltals leidenschaftlicher Verfechter der EU-Integration der Türkei, hataber gleichwohl stets kritische Distanz zum Westen bewahrt. Imvergangenen Jahr wurde Pamuk schon mit dem Friedenspreis desDeutschen Buchhandels ausgezeichnet.
Der berühmteste Literaturpreis der Welt ist mit zehn MillionenKronen (1,1 Millionen Euro) dotiert und wird am 10. Dezember inStockholm von Schwedens König Carl XVI. Gustaf überreicht. Imvergangenen Jahr war der englische Dramatiker Harold Pinterausgezeichnet worden.
Der Sekretär der Nobel-Akademie, Horace Engdahl, sagte nach derBekanntgabe: «Es gibt wohl kaum einen Autor in der Weltliteratur, derso faszinierende Stadtschilderungen schreiben kann wie Pamuk.» DerPreisträger dieses Jahres sei «international wohl bekannt und ja auchals Anwärter getippt worden».
Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck,sagte zur Entscheidung: «Mit Pamuk erhält ein Autor den Nobelpreis,dem der Gedanke einer europäischen Friedenspolitik, die auch dieTürkei einschließt, wichtiges Anliegen seiner schriftstellerischenArbeit ist. Mit ihm wird ein Garant des Anti-Nationalismus geehrt.»
Pamuk wurde in Istanbul geboren und lebt auch heute in der Stadtam Bosporus zwischen Europa und Asien. Im Spannungsfeld zwischenOrient und Okzident spielen auch die meisten seiner historischenRomane. Zu den bekanntesten Werken zählen «Die Weiße Festung», «Rotist mein Name» und «Schnee».
In seiner Heimat sieht sich Pamuk politischen Anfeindungennationalistischer Kreise ausgesetzt. Wegen «Herabwürdigung desTürkentums» wurde der Autor vor Gericht gestellt, weil er in einemInterview gesagt hatte, in der Türkei seien «eine Million Armenierund 30 000 Kurden umgebracht» worden. Der von der Europäischen Unionheftig kritisierte Prozess war Anfang des Jahres eingestellt worden.Mit Genugtuung reagierte der Vorsitzende des armenischenSchriftstellerverbandes, David Muradjan, auf Pamuks Auszeichnung.«Das ist eine Verbindung des Literaturpreises mit der Moral», sagteer der dpa in Eriwan.
Engdahl hob Pamuks «fließende Fantasie» hervor, die er in seinenRomanen zu «faszinierenden Mustern zusammenflechte». Pamuks Werkewurden bislang in mehr als 30 Sprachen übersetzt und in über 100Ländern veröffentlicht. In deutscher Übersetzung sind seit 1990insgesamt sechs Werke erschienen. Ende November bringt der HanserVerlag (München) die Essaysammlung «Istanbul: Erinnerungen an eineStadt» heraus. In dem bereits 1999 geschriebenen Rückblick auf seineJugend schildert Pamuk vor allem die Melancholie, die seiner Ansichtnach die Einwohner Istanbuls kennzeichnet.
Die Schwedische Akademie hob in ihrer Begründung auch Pamuks Rolleals «Gesellschaftskritiker» in seinem Heimatland heraus. So habe erals erster Autor der muslimischen Welt die Fatwa gegen seinenKollegen Salman Rushdie öffentlich verurteilt. Pamuk habe auch fürseinen Landsmann Yasar Kemal Stellung genommen, als dieser 1995 vorGericht gestellt worden war.
Pamuk wurde am 7. Juni 1952 in Istanbul geboren. Sein Großvaterwar einer der ersten Fabrikanten in der Türkei. Er studierteArchitektur und Journalismus und lebte mehrere Jahre in New York. MitMitte zwanzig begann er Romane zu schreiben. Ob sie nun im 17.Jahrhundert oder in der Gegenwart spielen: All seine Werke kreisen umdas zentrale Thema der Identität zwischen westlicher und östlicherKultur, spüren den mystischen Traditionen der türkischen Geschichtenach und orientieren sich an der bilderreichen islamischenErzähltradition.
Der in seiner Heimat umstrittene Autor hatte in denFavoritenlisten der Nobelpreis-Wettbüros stets oben gestanden. Wegenseines relativ jungen Alters galt die Entscheidung für ihn aber fürKreise um die Schwedische Akademie als überraschend.