Literatur Literatur: Ein Tanz auf dem Vulkan

Berlin/dpa. - Am 22. Mai 1949 nahm sich der Sohn desLiteraturnobelpreisträgers im südfranzösischen Cannes das Leben.Klaus Mann wurde von vielen als die tragische Figur gesehen, dievielleicht nur ein Ziel hatte, wie einige Freunde meinten: «Er wollteselber Thomas Mann werden.» Und der meinte später in einem Nachrufauf Klaus Mann nüchtern und realistisch: «Seine Sohnschaft mag ihm inder Frühe Spaß gemacht haben; später hat sie ihn belastet.»
Mit seinem «Mephisto» schrieb Klaus Mann nicht nur eines derbedeutendsten Beispiele deutscher Exil-Literatur im 20. Jahrhundert,sondern auch eine sarkastische Abrechnung mit deutschen Karrieren imKünstlermilieu unter dem Hakenkreuz, zum Beispiel der einesSchauspielers als «Affe des Diktators», wie es Hermann Kestenformulierte. Als amerikanischer Staatsbürger und Soldat 1945 nachDeutschland zurückgekehrt, notierte Klaus Mann verbittert: «Daseinzige, was den Deutschen leid tut, ist der verlorene Krieg.»
Sein Roman «Mephisto» blieb als «Schmähschrift in Romanform» aufAntrag eines Adoptivsohnes von Gustaf Gründgens in der Bundesrepublikjahrzehntelang verboten. Als Oscar-prämierte Verfilmung von IstvanSzabo mit Klaus Maria Brandauer und in der atemberaubendenBühnenversion der französischen Regisseurin Ariane Mnouchkine machte«Mephisto» trotzdem Karriere. Schließlich kam das Buch in den 80erJahren bei Rowohlt heraus und avancierte zu einem späten Bestsellerin der Bundesrepublik (nachdem es zuvor schon früh in der DDRerschienen war). Bis heute wurde es über 800 000 mal verkauft.Zu Klaus Manns Lebzeiten fanden seine Bücher trotz seiner immensenjournalistischen Produktion nur wenig Verbreitung und bis zu seinemTod wurde keines von ihnen neu aufgelegt.
Über den «Mephisto»-Streit meinte Reich-Ranicki seinerzeit: «Diedeutsche Leserschaft hat das Recht, ein Buch zu kennen, das zwarfragwürdig und einseitig, oft ungerecht und gehässig, bisweilengeschmacklos und peinlich ist, das aber als kulturgeschichtlichesDokument anerkannt werden muß und sich überdies als ein bis heutelebendiger Roman erwiesen hat.» Aber trotz des späteren Erfolges undanderer anerkannter Bücher wie «Der Vulkan», «Treffpunkt imUnendlichen» und «Der Wendepunkt» ist Klaus Mann die großeliterarische Anerkennung bis heute versagt geblieben, der «ewigeSohn» Thomas Manns blieb im Schatten des übermächtigen Vaters.
Aber nicht nur im Werk sind Klaus und Thomas Mann nichtvergleichbar, beide hatten auch eine völlig entgegengesetzteAuffassung von Leben und «Auftrag» eines Künstlers. Für denumtriebig-nervösen Klaus waren mit seinem schillernden undextravaganten Lebensstil Schreiben und am Leben teilhaben keinWiderspruch, er stürzte sich geradezu in alle Abenteuer dieser Welt(bis zum Absturz in die Schwermut und die Drogensucht), während dasCredo seines Vaters die Entsagung blieb, die erst wahreskünstlerisches Schöpfertum ermögliche. Entsprechend gegensätzlichgingen Vater und Sohn auch mit ihrer Homosexualität um.
Der Nobelpreisträger und Autor der Erzählung «Der Tod in Venedig»über die platonische, aber verzehrende Liebe eines älteren Künstlerszu einem bildschönen Knaben lebte zwischen Sehnsucht und Verlangen,Klaus Mann lebte sein Verlangen aus und schrieb deutlicher als seinVater darüber. «Der fromme Tanz» (1925) gilt als einer der erstendeutschsprachigen Homosexuellen-Romane. Bezeichnend ist vielleichtauch, dass der Sohn schon mit 17 Jahren aus dem Elternhaus floh undniemals eine eigene Wohnung besaß, sondern bei Freunden, in Hotelsoder auf Bahnhöfen lebte.
In den 20er Jahren wurde vor allem das quirlige Berlin seine«eigentliche Heimat», wie Klaus Mann notierte, der auch immer eineLust zum Skandal hatte. Und 1948 wird er in Berlin in einem Interviewüber die Stadt sagen: «Es ist einerseits die anregendste undandererseits die gefährdetste Stadt. Es ist der Ort, wo der Gegensatzsich am dramatischsten zuspitzt, aber es ist auch, finde ich, derlebendigste Ort in Deutschland.»
Gemeinsam blieb Vater und Sohn wie der ganzen Familie Mann dieAblehnung jeder totalitären Herrschaftsform und vor allem die Abscheuüber das Barbarentum der Nazis. Beide erhoben lautstark ihre Stimmegegen Hitler und dessen millionenfache Mitläufer. Klaus Mann gründetein Amsterdam «Die Sammlung», die vielleicht beste literarische Exil-Zeitschrift in der NS-Zeit im Querido-Verlag von Fritz Landshoff.Dort erschien auch zum ersten Todestag Klaus Manns 1950 der Band«Klaus Mann zum Gedächtnis» mit Nachrufen von zahlreichen namhaftenKollegen und Weggefährten. Der Band mit einem Vorwort von Thomas Mannist als Reprintausgabe wieder lieferbar (Männerschwarm VerlagHamburg, 216 Seiten, 16 Euro).
Hermann Kesten würdigt darin den «beweglichen Sohn des 20.Jahrhunderts, der sich immer im Vortrupp tummelte», der die ganzeErde liebte, besonders Paris und New York, und vor sich selber floh.Die Liebe zu Paris und zu Frankreich gab dem jungen Autor JohannesSchmidinger den Anlass zu seinem jetzt erschienenen Band «"Wofreilich ich ganz daheim sein werde..." Klaus Mann und Frankreich(Männerschwarm Verlag, 240 Seiten, 19 Euro). Wichtige Passagen diesesBuches geraten Schmidinger über das eigentliche Thema Frankreichhinaus (und der Liebe zu Autoren wie Arthur Rimbaud) zu einereinfühlsamen und beeindruckenden Beschreibung von Person undLebenswelt Klaus Manns und dessen «Unvermögen oder Unwillen»,Bindungen einzugehen und sesshaft zu werden. Friedrich Sieburg sah inihm einen Menschen, der «qualvoll an der Kette zerrt, die ihn anDeutschland bindet».
Zum 100. Geburtstag Klaus Manns veranstaltet sein Verlag (Rowohlt)zusammen mit der Freien Universität Berlin (FU) noch bis zum 19.November im Literaturhaus Berlin ein wissenschaftliches Symposium,das vor allem nach der Modernität des Schriftstellers fragt. DieLiteraturwissenschaftler sind der Auffassung, dass«öffentlichkeitswirksame Ereignisse» wie der Streit um den«Mephisto»-Roman, die Veröffentlichung der Klaus-Mann-Tagebücher oderder Fernseh-Dreiteiler «Die Manns» von Heinrich Breloer der Forschungkaum neue Impulse gegeben hätten. Bedeutsamer ist da vielleicht dierund 30-jährige Spurensuche des Herausgebers Fredric Kroll, die ihrenNiederschlag in einer sechsbändigen «Klaus Mann Schriftenreihe» mitüber 3000 Seiten gefunden hat, die der Hamburger Männerschwarm-Verlagjetzt zum 100. Geburtstag Manns präsentiert (alle Bände 280 Euro,auch einzeln lieferbar).