Literatur Literatur: Autor Ulrich Plenzdorf wird am Dienstag 70 Jahre alt

Berlin/dpa. - Seine Helden sind die Unangepassten, die hoffnungslosen Weltverbesserer. Ulrich Plenzdorf ist der Vater des Liebespaars «Paul und Paula». Das Alter Ego von Goethes Werther ließ er in «Die neuen Leiden des jungen W.» an unserer Gegenwartverzweifeln. Schauspieler Manfred Krug schickte er als West-Berliner Anwalt «Liebling Kreuzberg» zur Horizonterweiterung erst einmal in den Ost-Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. «Ich bin Auflagen-Millionär», sagt der Autor und Drehbuchschreiber, der am Dienstag (26.10.) seinen 70. Geburtstag feiert und sich eigentlich zur Ruhe setzen könnte. «Aber man kann sein Hirn nicht lahm legen.»
Deshalb bringt Plenzdorf seine «Gefühlslage» immer wieder zuPapier. Gerade ist der Band mit dem viel sagenden Titel «Ich sehnmich so nach Unterdrückung» (Konrad Reich Verlag, Rostock)erschienen. Darin sind alte und neue Lieder und Moritaten über dreiJahrzehnte deutsch-deutsche Geschichte zu finden. Für das Fernsehenhat er schon länger nicht mehr gearbeitet. «Von meiner Herkunft herbin ich auf den Osten spezialisiert. Allerdings habe ich das Problem,dass die Interpretation des Ostens längst in West-Hände gelangt ist»,sagt Plenzdorf im dpa-Gespräch. Deshalb bekomme er wohl auch nichtmehr die ganz großen Drehbuch-Angebote, meint er etwasdesillusioniert.
Er finde jedoch, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheitbesser in den Händen derer sein sollte, die wie er dortjahrzehntelang gelebt haben. Froh ist er aber, dass das ThemaOstdeutschland «nun endlich in den Medien angekommen ist, selbst derBundespräsident redet darüber.»
Seit mehr als 30 Jahren schreibt der am 26. Oktober 1934 in Berlingeborene Plenzdorf Drehbücher, Erzählungen und Geschichten fürKinder. Seine steile Karriere begann 1972 mit dem Theaterstück «Dieneuen Leiden des jungen W.», das am Landestheater Halle uraufgeführtund auch im Westen viel gespielt wurde. Die ein Jahr späterveröffentlichte Romanfassung wurde bis heute über vier Millionen Malverlegt und in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Eine Filmfassung kam1976 ins westdeutsche Fernsehen und soll im Dezember 2004 erstmalsauch im Kino gezeigt werden, wie Plenzdorf ankündigt.
Plenzdorf erzählt von dem ostdeutschen Lehrling Edgar Wibeau, dersich den Zwängen der Gesellschaft verweigert und in einerabbruchreifen Laubenkolonoie eine kurze glückliche Phase der Freiheiterlebt, eine zufällig gefundene Reclam-Ausgabe von Goethes «WerthersLeiden» immer bei sich. In der DDR galt der Stoff als «nichtrealisierbar». Ein Jugendlicher, der aufbegehrt und das Tragen vonJeans zu seiner Weltanschauung macht - das bedeutete in den Augenbesonders linientreuer Genossen eine «skandalöse Diskriminierung» derDDR-Jugend.
Bis heute hat Plenzdorf eine ganz besondere Beziehung zumtragischen Hauptdarsteller seines größten Erfolgs. «Mein Freund Edgaraus den "neuen Leiden" lässt mich nicht los», sagt er. «Eine Zeitlang habe ich gedacht: Mensch Edgar, gib' Ruhe. Aber wir sind einfachBrüder», sagt Plenzdorf, der selbst immer wieder Schwierigkeiten mitder DDR-Zensur hatte. Die ebenso realitische wie romantische «Legendevon Paul und Paula», von Heiner Carow mit Winfried Glatzeder undAngelica Domröse in den Hauptrollen verfilmt, war in Ost und Westgleichermaßen ein Erfolg.
In der Nachwende-Zeit standen Plenzdorf, der schon zu DDR-Zeitenim Westen arbeiten durfte, beim Fernsehen die Türen offen. Anfang der90er Jahre löste er Jurek Becker als Drehbuchautor der ARD-Fernsehserie «Liebling Kreuzberg» ab. Auch bei der Verfilmung vonManfred Krugs Autobiografie «Abgehauen» übernahm Plenzdorf dasDrehbuch. Auf Harald Juhnke zugeschnitten war das Szenarium für denFilm «Der Trinker» nach dem Roman von Hans Fallada. Einer derWunschträume des Autors erfüllte sich mit der dreiteiligenFernsehserie nach Erwin Strittmatters Roman «Der Laden», dieMillionen Zuschauer nicht nur im Osten sahen.