«Linkes Gewissen» «Linkes Gewissen»: Publizist Erich Kuby ist im Alter von 95 Jahren gestorben

Venedig/München/dpa. - Im Alter von95 Jahren ist der Autor und Publizist in der Nacht zum vergangenenSamstag in Venedig gestorben, wie sein Sohn Clemens Kuby am Montag inMünchen bestätigte. Sein Vater soll an diesem Donnerstag imevangelischen Teil der Friedhofsinsel San Michele in Venedigbeigesetzt werden.
Kuby war über Jahrzehnte einer der markantesten linkenJournalisten in der Bundesrepublik. «Er war, bis dieStudentenbewegung 1968 ihn abgelöst hatte, das linke Gewissen derNation», sagt sein Sohn Clemens. Erich Kuby hatte unter anderem fürdie «Süddeutsche Zeitung», den «Stern», den «Spiegel» und dieBerliner Wochenzeitung «Freitag» geschrieben.
Zu seinen größten Bucherfolgen gehörte neben «Das ist desDeutschen Vaterland - 70 Millionen in zwei Wartesälen» vor allem«Rosemarie, des deutschen Wunders liebstes Kind», in dem er sich mitdem Leben der ermordeten Frankfurter Prostituierten RosemarieNitribitt auseinander setzte. Das Buch wurde in 17 Sprachenübersetzt. Auch die Verfilmung von Kubys Analyse der deutschenDoppelmoral, nach einem von ihm selbst geschriebenen Drehbuch, wurdeein Welterfolg.
Der in Baden-Baden geborene und in Oberbayern aufgewachseneLandwirtssohn hat auch Hörspiele geschrieben und insgesamt rund 40Bücher veröffentlicht.
In einer seiner letzten großen Arbeiten hat Kuby die Geschichteseiner Familie erzählt. Das im Münchner Hanser Verlag erschieneneWerk «Lauter Patrioten» ist - so der Untertitel - eine «deutscheFamiliengeschichte von 1800 bis 2000». Sein umfangreiches Werk«Verrat auf Deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte» und «DerFall "Stern" und die Folgen» um die gefälschten Hitler-Tagebüchererregten großes Aufsehen.
Erich Kuby stritt in den «Kindertagen» der Bundesrepublik vehementgegen die Wiederbewaffnung und hinterfragte gesellschaftskritisch das«Wirtschaftswunder» der 50er Jahre. Nach über fünf Jahrzehnten alskritisch-wachsamer Journalist zog sich der Autor dann nach Venedigzurück. Dort lebte er zusammen mit seiner zweiten Frau Susanna Böhmeund mit seinem jüngsten Sohn Daniel, in deren Beisein er jetzt auchstarb.
Kuby mischte sich immer wieder ins kulturpolitische Tagesgeschäftein, zuletzt bei der Debatte um die Vereinigung der beiden deutschenAutorenverbände. Dabei setzte er demonstrativ ein Zeichen undwechselte ins ostdeutschen PEN-Zentrum.
In jungen Jahren war Kuby nach dem Studium der Volkswirtschaft biszu seiner Einberufung in die Wehrmacht in einem Buchverlag tätig, alsSoldat war er in Frankreich und Russland eingesetzt. 1947 wurde erChefredakteur der von Alfred Andersch und Hans Werner Richtergegründeten Zeitschrift «Der Ruf». Nach seiner Absetzung durch dieUS-Amerikaner, denen Kuby wie schon zuvor Andersch und Richter zukritisch war, gehörte er jahrelang dem Redaktionsstab der«Süddeutschen Zeitung» an.
«Erich Kuby war nach dem Krieg als anerkannter Nicht-Nazi von denAmerikanern beauftragt worden, deutsche demokratischePersönlichkeiten zu finden, denen man eine Lizenz zur Herausgabeeiner Zeitung geben könne», sagt Sohn Clemens rückblickend. «MeinVater lizenzierte Augstein, Springer, Nannen, Friedmann etc. - ervergaß nur, sich selbst eine Lizenz auszustellen.» Aber dafür habe erdann in all diesen Blättern und Magazinen mitgewirkt. Ein Sprecherdes «Spiegel» würdigte ihn am Montag als «einen der profiliertestenJournalisten der deutschen Nachkriegsgeschichte».