Lesung Lesung: «Kinski spricht Kinski»

Berlin/dpa. - Wenn Kinski spricht herrscht fast atemloseStille und die Kerzen auf den Tischen werden ausgeblasen. Die erstenWorte, die Nikolai Kinski in der dann fast stockdunklen «Bar jederVernunft» in Berlin an diesem Montagabend im Scheinwerferkegelrezitiert, sind ein Lebensbekenntnis seines Vaters und sollen wohlfür beide gelten: «Ich weiß nicht, wer ich bin und wer ich war - einFremder vor mir selbst...ich suche mich - und wenn ich mich gefundenhabe, bin ich mein größter Feind. Ich flieh vor mir und meinemLeben.»
Der 1991 gestorbene Klaus Kinski («Aguirre, der Zorn Gottes»), derin den 50er und 60er Jahren mit seinen Rezitationen mit den Werkenseiner Idole Villon und Rimbaud in Deutschland riesige Hallen füllenkonnte, hat seine eigene spätexpressionistische, teils balladenhafteLyrik nie selbst vorgetragen. Sie waren erst zehn Jahre nach seinemTod als Gedichtband mit dem Titel «Fieber - Tagebuch einesAussätzigen» (Suhrkamp) erschienen und fanden große Beachtung. «DerKünstler leidet» war Kinskis Motto, was schon in seinen Gedichttitelnzum Ausdruck kommt wie «Irrenhaus» («Die Menschen sagen, dass ichirre bin! Doch große Flammen schäumen durch mein Blut»), «In jedemHerz sind Steine» oder «Fieberwut».
Sohn Nikolai, in Paris geboren und in Kalifornien englischsprachigaufgewachsen, lebt seit 2003 in Berlin, wo der inzwischen 30-Jährigedie deutsche Sprache lernte und auch schon in vielen Film- undFernsehproduktionen mitgewirkt hat («Klimt» mit John Malkovich).
Auch auf der an diesem Donnerstag beginnenden Berlinale istNikolai Kinski mit einem neuen Film vertreten («Fay Grim»). Am Montaglieferte er ein erstaunliches Zeugnis seiner in relativ kurzer Zeiterworbenen deutschen Sprachkenntnisse ab und trug die Gedichte seinesVaters in einem einstündigen Nonstop-Programm auswendig und ohneVersprecher vor. Dabei versucht er stellenweise auch dieExpressivität seines Vaters im Vortragsstil zu erreichen, bleibtdabei aber hinter dem Wild-Unberechenbaren der körperlichenAusdruckssprache seines Vaters (noch?) zurück.
Eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit dem Vater bis hin zu densinnlich vollen Lippen («Noch nie hat sich ein Mund so sehr auf einenKuss gefreut») ist unverkennbar. Dessen Texte über Liebe, Schmerz undSeelenqual trägt er mal leise, fast zärtlich oder einschmeichelndklingend und dann wieder mit einem zornbebenden Wutausbruch vor. Dochdie jugendliche Heiserkeit der Schreie Nikolais sind noch weitentfernt von der Raserei und den schieren Explosionen seines Vatersauf der Bühne, von seinem abgebrochenen «Skandalauftritt» als «JesusChristus Erlöser» im November 1971 in der Berliner Deutschlandhalleganz zu schweigen. Nikolai verfügt noch nicht über starke gestischeAusdrucksformen beim Gedichtvortrag, hält sich bewusst zurück undbleibt oft monoton in der Stimme.
Bleibt die Anerkennung allein schon für den mutigen Versuch desSohnes, der dafür auch anerkennenden Beifall im vollbesetztenTheaterzelt erhielt. Als Zugabe trug er noch Gedichte des 1995gestorbenen Dramatikers Heiner Müller vor. «Die meisten werden sichkaum vorstellen können, dass mein Vater ein bisschen selbstverliebtwar...Aber es gibt noch andere große Dichter in Deutschland.» NikolaiKinski will noch einmal am 5. März in der «Bar jeder Vernunft»auftreten.