1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Leipziger Schriftsteller: Leipziger Schriftsteller: Nachlas von Erich Loest wird versteigert

Leipziger Schriftsteller Leipziger Schriftsteller: Nachlas von Erich Loest wird versteigert

Von christian eger 18.11.2015, 08:04
Erich Loest (1926-2013) im Jahr 2001 in seiner Wohnung in Leipzig-Gohlis. Alles, was auf dem Bild an Interieur zu sehen ist, kommt unter den Auktionshammer. Rechts: Umhängetasche und Hüte von Erich Loest. Der Strohhut („hat er in einigen Urlauben getragen“) kommt mit zehn Euro zum Aufruf.
Erich Loest (1926-2013) im Jahr 2001 in seiner Wohnung in Leipzig-Gohlis. Alles, was auf dem Bild an Interieur zu sehen ist, kommt unter den Auktionshammer. Rechts: Umhängetasche und Hüte von Erich Loest. Der Strohhut („hat er in einigen Urlauben getragen“) kommt mit zehn Euro zum Aufruf. dpa Lizenz

leipzig - Es ist, als würde man ein Kinderzimmer betreten. Eine Spielstube vor dem Umzug. Eng, kleinteilig, bunt, aber schon ist alles für den Abtransport vorsortiert. Rechts vom Eingang steht ein grauer Karton, gefüllt mit Schreib- und Farbstiften. Drei Packungen Altenburger Skat-Karten stecken mittendrin. Vor dem Karton liegt eine seltsame Zeichnung. Zwei Packen Textausdrucke dabei. Hüte hängen an der Wand. Wer will, kann einen Blick in eine Kommode werfen: Briefmarkenalben und zahllose CDs, schnell zusammengeschoben.

Man will da gar nicht so genau hinsehen. Die CDs eines Menschen sind schon eine recht private Auskunft. Und zu dieser hat die Person, die sich hier ausstellen lassen muss, nicht die Genehmigung gegeben. Denn der Hausrat, der in dem eigens angemieteten Laden in der Leipziger Hainstraße 3 gezeigt wird, stammt aus keinem Kinderzimmer. Das wirkt nur so, weil alles zusammenhanglos und willkürlich nebeneinander liegt. Die zwei Packen Papier sind keine Malblätter, sondern Korrekturabzüge eines Romans, im Seitenkopf steht „Löwenstadt, 17.12.2008“. Die seltsame Zeichnung ist eine von Günter Grass signierte Lithografie: „Für Dich lieber Erich, dem Kaiser von China aus H. Chr. Andersens ,Nachtigall’ zum 80. Geburtstag.“ Erich, das ist der im September 2013 im Alter von 87 Jahren gestorbene Schriftsteller Erich Loest.

Die Stadt Leipzig erlebt dieser Tage eine der bizarrsten Kulturaktionen ihrer Geschichte. Bizarr heißt, dass der Besucher zwischen Befremden und Erstaunen hin- und hergerissen wird - und das Befremden gewinnt. Hier wird nicht einfach nur der interessante Hausrat eines der erfolgreichsten und zeithistorisch reizvollsten deutschen Nachkriegsschriftsteller zum Verkauf angeboten, des Autors von Büchern wie „Durch die Erde ein Riss“, „Swallow, mein wackerer Mustang“ oder „Die Stasi war mein Eckermann“. Hier wird buchstäblich verscherbelt: vom Mattheuer-Gemälde, wofür jeder schnell Verständnis hat, bis zum Bettvorleger, wofür man kein Verständnis haben muss. Bis Sonnabend, wenn der gesamte Nachlass um 14 Uhr unter den Hammer kommt, ist in dem marktnahen Laden täglich für zwei Stunden die Schauseite des Angebotes zu betrachten, im Internet ist der große Rest zu finden, insgesamt 230 Positionen: vom Bett (Aufruf 25 Euro) über den Tischläufer (5 Euro) bis zum Tchibo-Haushaltsbesteck (Aufruf 25 Euro).

Warum so? Warum wird auch das privateste Lebensgeschirr - das ohne Loest eigentlich Plunder und für literarische Loest-Verehrer entbehrlich ist - angeboten? Welche Rolle spielen die Kinder? „Meine beiden Geschwister und ich haben mit dieser Versteigerung nichts zu tun“, sagt Thomas Loest, der sich zu diesem Vorgang bislang noch nicht öffentlich geäußert hatte. Viel mehr seien die drei Loest-Kinder „überrascht“, was da jetzt alles herausgegeben werde. Die drei Loest-Kinder: Das sind zwei Söhne (Köln, Leipzig) und eine Tochter (Schwerin) aus der ersten und einzigen Ehe des Schriftstellers. Für die Versteigerung, sagt Thomas Loest, sei allein Erich Loests letzte Lebensgefährtin zuständig.

Doch was hat sie dazu genötigt? Zu dieser Art von Ausverkauf? Weder sie noch die Göttinger Firma Proventura Auktion war gestern Abend für eine Nachfrage zu erreichen. Der Leipziger Antiquar Martin Koenitz, der die Versteigerung vor Ort unterstützt, kann und will in dieser Sache nicht ins Detail gehen. Zu Thomas Loests Antwort sagt er nur so viel: „Was heißt, nichts damit zu tun zu haben?“

Es scheint wohl so, dass mit dem Loest-Ausverkauf ein familiärer Erbgang seinen Abschluss finden soll. Dass der nun bis zum Bettvorleger abgewickelt wird, ist eine Tragik, die auch Koenitz bedauert, die aber, vermutet er, die „juristisch korrekteste Art“ sei, „um keine Grauzone übrig zu lassen.“

So wünscht man sich, es gäbe einen Sponsor, der hier eine Summe X vorschießt, damit die schönen Stücke ihren Gang in die Sammlungen finden, ohne dass am neugierigen Publikum sozusagen das Bett des Schriftstellers vorbeigetragen werden muss. Der war 1981 nach sieben Jahren Zuchthaus Bautzen in den Westen ausgereist, um 1990 nach Leipzig zurückzukehren, wo ihm 1995 die Ehrenbürgerwürde verliehen würde.

Es sind vor allem Leser, Kenner und persönliche Freunde Loests, die den Weg in die Hain-Straße finden. Und die sehen die Möbel, die zuletzt in der Wohnung des Schriftstellers in Leipzig-Gohlis standen. Der Schreibtisch, die Schreibmaschine, der Bücherschrank. Viele historische Leipziger Stahl- und Kupferstiche und zeitgenössische Grafiken. Unter anderem eine Kohlezeichnung von Roger Servais, die den Loest-Kollegen Günter Kunert 1969 mit Katze zeigt.

Es ist ein Ausverkauf. Und hoffentlich ein Ende. Bereits zu Lebzeiten hatte Loest seinen literarischen Nachlass an die Stiftung Mediencampus Villa Ida in Leipzig gegeben, viel Persönliches ging an das Loest-Museum in Mittweida. Dessen Leiterin Sibylle Karsch sieht die Leipziger Auktion mit Erstaunen. „Das ist eine schmerzliche Geschichte“, ein „brisanter Vorgang“, sagt sie. Ob jemand aus Mittweida nach Leipzig reisen wird, entscheide sich Ende der Woche. Was in ihre Sammlung passen würde? „Alles“, entgegnet die Museumsfrau ohne Zögern. Man würde es dem Nachlass wünschen.

Vorbesichtigung: Leipzig, Hainstraße 3, an Barthels Hof, bis 20.11. täglich 10 bis 11 Uhr und 18 bis 19 Uhr, Freitag bis 20 Uhr sowie am 21.11. vor Auktionsbeginn. Versteigerung am 21.11. um 14 Uhr, Hainstraße 1, Barthels Hof. (mz)

Alle Objekte sind zu sehen: www.proventura.de

Erich Loests Schreibmaschine (Aufruf 5 Euro) und Kaffeemaschine (10 Euro)
Erich Loests Schreibmaschine (Aufruf 5 Euro) und Kaffeemaschine (10 Euro)
dpa Lizenz
Antiquar Martin Koenitz mit Mattheuer-Gemälde, Aufruf 10 000 Euro
Antiquar Martin Koenitz mit Mattheuer-Gemälde, Aufruf 10 000 Euro
dpa Lizenz
Loest-Biografie „Durch die Erde ein Riß“, originalverpackt, insgesamt 83 Stück
Loest-Biografie „Durch die Erde ein Riß“, originalverpackt, insgesamt 83 Stück
dpa Lizenz