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Leipziger Revue-Theater Leipziger Revue-Theater: Kein Geschrei im Hafen

Von Mathias Schulze 11.03.2013, 17:47
Pianistin Jenny Lübke (links) und Sängerin Susanne Grütz
Pianistin Jenny Lübke (links) und Sängerin Susanne Grütz Ralf Arnold Lizenz

Leipzig/MZ - Was hat er alles einstecken müssen, der Bert Brecht aus den schwarzen Wäldern. Von den Nazis um die halbe Welt gejagt, von den Amerikanern als Kommunist, von Feministen als Macho und von beinharten Kapitalisten als Moralungeheuer verdächtigt. Nach dem Tode dann im Osten zum sozialistischen Vordenker und im Westen zum bürgerlichen Klassiker kategorisiert. Die billigen Etiketten ließen sich fortsetzen.

„Ballade von der sexuellen Hörigkeit“

Umso schöner, dass Jenny Lübke und Susanne Grütz einfach mal in der reichen Gedicht- und Songsammlung gestöbert und die Perlen zwischenmenschlicher Betrachtung ins warme Varieté-Licht des Leipziger Palmengartens gestellt haben. „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ heißt ihre Show. Am Klavier zuckt sich der Rock der jüngeren Lübke in die vitale Selbstbehauptung, rutscht der Zylinder beim narzisstischen Tanze. Währenddessen legt die abgeklärte Grütz viel Ton und laszive Verruchtheit in die Stimme und bringt die handfest deftige Präzision der nachgeahmten Volkssprache zum Klingen. Der Protest gegen den Naziterror, die finsteren Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen ist, werden zwar nicht vergessen, aber sorgsam ausgespart. So darf die Erinnerung an Marie A. und an das Gefühl der Liebe im blauen Monde September in den Vordergrund treten, so geben sich die Huren Ratschläge, wird mit Beats und im flimmernden Scheinwerferlicht das Lied von der Vitalität gerappt. Im Treppenhaus gilt es Engel zu verführen und den Weg zur nächsten Whiskey-Bar zu finden. Wenn Grütz als Seeräuber-Jenny die Träume eines Küchenmädchens ins Mikro haucht, von den acht Segeln und den 50 Kanonen eine Befreiung erhofft und alle Peiniger köpfen will, gibt es zwar abends kein Geschrei im Hafen, wohl aber eine zarte Gänsehaut, die sich verstohlen ihren Wünschen anschließt.

Ausstrahlung, Erotik und schmutziger Zigarrenqualm

Lübke und Grütz müssen nicht nur singen, sie müssen etwas ausstrahlen. Und das machen sie auf ganz vorzügliche Weise. Sie behalten den Kopf oben, wenn die Männer mit dem vielen Geld und den weißen Kragen kommen, fallen halt nicht beim Trinken in jedes Bett, spielen ihre pralle Erotik überlegen aus, schützen dabei ihre Engelsflügel und ziehen die zeitlose Essenz aus der Lyrik. Da sieht man plötzlich den Topmanager im Bordell, da steht der Tag in den Türen, bringt der Nachtwind den schmutzigen Zigarrenqualm bis in den Morgen, da schlürfen zwei das Leben in vollen Zügen, lassen sich nicht davon verführen, dass das wenig ist.

Brecht gehört entstaubt

Lübke und Grütz sparen weder Anmut noch Mühe, könnten getrost auf die wenigen Kalauer verzichten. Dann würden vermutlich nicht nur Brecht-Kenner beim Anblick ihrer gelungenen Show so reagieren, wie der Liebhaber im Gedicht „Entdeckung an einer jungen Frau“. Beim morgendlich nüchternen Abschied erkennt er eine graue Strähne im Haar, abends war sie verborgen. Und er will bleiben, das Vergehen zwischen Tür und Angel aufhalten. Brecht gehört entstaubt, von all den Klischees, die auf ihm lasten. Er ist eben auch mehr als nur ein Dramatiker. Lübke und Grütz tun das Ihrige dafür. Bis Anfang Juli noch im Palmengarten in Leipzig.

Die „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“ wird am 4. April um 20 Uhr im Revue-Theater am Palmengarten, Jahnallee 52, in Leipzig gezeigt.