Leipzig Leipzig: Bibliothek versucht Archivierung von Millionen digitaler Bücher

Leipzig/ddp. - zwölfRegalreihen auf jeder Seite, ein schmaler Gang in der Mitte. «SechsKilometer Buch stehen hier», erklärt Jörg Räuber. Und dies ist nurein einziger Magazinraum der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) inLeipzig. Der Bücherturm hat fünf Segmente und neun Vollgeschosse,jedes nochmal durch einen Stahlfußboden unterteilt - Platz fürMillionen von Büchern.
Seit 1913 sammelt die Bibliothek alle deutschsprachigenNeuerscheinungen, doch jetzt steht sie vor einer Zeitenwende. Diezunehmende Digitalisierung von Publikationen stellt die Bibliothekvor große Herausforderungen. Es gebe noch kein Patentrezept, weder inDeutschland noch weltweit, wie solche Daten langfristig gesammelt,aufbewahrt, und vor allem auch wiedergefunden werden können, sagtRäuber.
Räuber ist Leiter Benutzung und Archivierung der DeutschenNationalbibliothek und damit verantwortlich dafür, dass alle Bücherordnungsgemäß in die kilometerlangen Regale einsortiert werden. 300000 Publikationen kommen pro Jahr hinzu, die Verlage sind per Gesetzverpflichtet, jeweils ein Exemplar an die Bibliothek an denStandorten Leipzig und Frankfurt am Main zu schicken.
Die Archivierung ist dabei denkbar einfach, unterschieden wird nurnach den Kriterien «Buch» oder «Zeitschrift», dann wird sortiert nachGröße - und anschließend wird einfach ins Regal gestellt, nachZeitpunkt der Anlieferung. Deshalb steht im Magazin unter derSignatur 2002-A-54710 auch ein Werk über InternationaleRechnungslegung gleich neben der achtbändigen Ausgabe desKriegstagebuchs des Oberkommandos der Wehrmacht, unter 2002-A-54719schließt sich ein Fachbuch über Marketing an.
Wie sie mit Büchern umzugehen haben, wissen sie bei der DNB,deshalb zum Beispiel auch der Verzicht auf Fenster, damit Tageslichtdem Papier nicht zusetze, erklärt Räuber. Das älteste Buch ist von1848 und in tadellosem Zustand, wie Räuber versichert. Aber wie manim digitalen Zeitalter Nullen und Einsen speichert und so ablegt,dass man sie auch wieder findet, dafür gibt es noch kein Rezept.
Das Problem kennt jeder Laie: Dokumente von vor zehn Jahren sindmit heutiger Software kaum noch lesbar. Vor allem dieLangzeithaltbarkeit der Daten sowie die Archivierung von digitalenwissenschaftlichen Datenbanken seien eine große Herausforderung, sagtRäuber. Prinzipiell gebe es zwei Lösungen: Zum einen könnten dieDokumente immer wieder automatisch auf den neuesten Stand derSoftware gebracht werden. Dabei laufe man aber Gefahr, Daten zuverlieren oder zu verfälschen. Zum anderen könne man auch die alteTechnik weiter vorhalten oder mit technischen Tricks den Dokumentenvorspielen, sie würden von einer alten Hardware gelesen. «Das istaber sehr aufwendig», sagte Räuber. Beim Papier wisse man, wie essich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte verhält. Bei digitalenDaten könne man nur hoffen.
Mit dem Problem befasst sich auch Steffen Schilke von derHessischen Zentrale für Datenverarbeitung. Das Problem beim Upgradeeiner Publikation auf die neueste Softwarevariante sei dieDatensicherheit, erklärt auch er. Bei jedem Kopieren gehe etwasverloren. Und das Schlimme dabei: Ohne Originaldokument wisse mannicht einmal, was verloren gegangen ist. Eine Möglichkeit für dasProblem könnten die sogenannten 2-D-Barcodes sein, jene quadratischenGebilde mit den schwarzen Punktmustern, die mittlerweile auf vielenProdukten prangen. Versuche hätten gezeigt, dass ungefähr 170Textseiten auf einem A3-großen Barcode gespeichert werden könnten.Und wohin mit den Barcode-Bögen? Die könne man dann abfotografierenund als Mikrofilm archivieren, sagt Schilke.
Trotz aller Digitalisierung wächst aber der Bücherberg, der vondeutschen Verlagen herausgegeben wird, unaufhaltsam weiter.Mittlerweile lagern im Leipziger Bücherturm 14,3 Millionen Bücher,Zeitungen, Noten und andere Medien, in Frankfurt sind es noch einmalrund 8,3 Millionen. Der vierte Erweiterungsbau seit 1913 entstehtgerade in Leipzig, ungefähr einmal pro Generation müsse man anbauen,erklärt Archiv-Chef Räuber.
Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Büchereien schmeißt dieNationalbibliothek nichts weg. Nie. Was einmal im Regal steht, bleibtauch dort. Der 50 Millionen Euro teure Neubau, für den am 23. MärzRichtfest gefeiert wird, soll neben neuem Magazinraum in dreiKellergeschossen auch dem Deutschen Musikarchiv aus Berlin Platz undein neues Zuhause bieten. Das Platzproblem ist dann für die nächsten30 Jahre gelöst, das digitale Problem wartet hingegen weiter auf eineLösung für die nächsten Jahrhunderte.