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Leben in der DDR Anfang 1989 Leben in der DDR Anfang 1989: Als die Mauer noch 100 Jahre stehen sollte

Von Andreas Montag 03.01.2019, 10:00
Kinder spielen am ehemaligen Todesstreifen entlang der Mauer, Berlin, Bernauer Straße, Juni 1990
Kinder spielen am ehemaligen Todesstreifen entlang der Mauer, Berlin, Bernauer Straße, Juni 1990 imago/epd

Halle (Saale) - So vergeht die Zeit: Viele junge Menschen, die selbst schon Eltern sind, haben keine eigenen Bilder vom Ende der deutschen Teilung mehr, geschweige denn von der Zeit davor. Um so wichtiger, daran zu erinnern - und nach den Umständen zu fragen. Zumal mit fortschreitender Zeit auch die selbst bewahrten Zeugnisse zwar nicht an Bedeutung verlieren, im Detail aber oft unschärfer werden.

Dass der 30. Jahrestag des Mauerfalls in diesem Jahr ein wichtiges Thema sein wird, steht außer Frage. Filme, Dokumentationen, Zeitzeugengespräche - noch einmal wird in aller Öffentlichkeit das große Besteck bemüht werden, um der friedlichen Revolution angemessene Würdigung zuteil werden zu lassen. Und manchem wird es vielleicht sogar zu viel werden damit vor dem Hintergrund aktueller politischer Besorgnisse.

Dennoch versetzt einen das Wunder des 1989er Herbstes immer wieder in Erstaunen: Wie kamen die Dinge so rasant in Fluss, dass sie nicht mehr aufzuhalten waren? Woher nahmen die Menschen in der DDR plötzlich den Mut zum Widerstand, nachdem sie sich zuvor viele Jahre lang, seit 1953, überwiegend still verhalten hatten und eher einverständig wirkten mit dem Tun der Partei- und Staatsführung?

Freiheit liegt im Plan - doch ein wenig Realität mischt sich in die Propaganda

Auf den ersten Blick in die Freiheit, aus der im Frühjahr 1990 die Mitteldeutsche Zeitung werden sollte, ist in der Ausgabe vom 3. Januar 1989 nichts Ungewöhnliches festzustellen. „Erste gute Ergebnisse und anspruchsvollere Vorhaben“ werden auf der Titelseite vermeldet - der Planstart ins Jubiläumsjahr der DDR ist, so liest man, erfolgreich verlaufen. Wie auch sonst? Die Meldung von Erfolgen, ob es sie nun in Wirklichkeit gab oder nicht, war schließlich die erste Tugend der Medien in der DDR.

Allerdings mischte sich schon ein wenig Realität in die Propaganda - die Genossen hatten den Druck, unter dem das Land stand, wohl bemerkt. Von einer, inzwischen behobenen, Panne im Tagebau Gröbern berichtet die Freiheit gleich am Kopf der ersten Seite. In der BRD dagegen sieht es gewohnt böse aus: Arbeitslosigkeit, hohe Pro-Kopf-Verschuldung, Zukunftsangst...

Das hat man später dann allerdings auch im Osten kennengelernt, aber das Freiheits- und Wohlstandsversprechen des Westens ist stärker und am Ende auch zutreffender gewesen als die propagandistischen Ermutigungen aus der Führungsetage der SED: Die Mauer werde „in 50, auch in 100 Jahren noch bestehen“ sagte Erich Honecker am 18. Januar 1989, „um unsere Republik vor Räubern zu beschützen“.

Hier hatte er sich geirrt, in jeder Hinsicht. Schon seit 1987 gärte es im Lande DDR, die wirtschaftliche Talfahrt blieb nicht unbemerkt. Und viele Hoffnungen der Bevölkerung richteten sich auf die Sowjetunion, wo der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Michail Gorbatschow, mit Ehrlichkeit, Charme und ohne Schnaps zu retten versuchte, was nicht zu retten war.

In der DDR hatte das Verbot der sowjetischen Zeitschrift Sputnik die Menschen, selbst treue Parteigänger, auf die Palme gebracht. Die vom Sputnik thematisierte Frage nach dem Hitler-Stalin-Pakt war der SED eindeutig zu weit über den Rahmen ihres weltanschaulichen Schnittmusterbogens hinaus gegangen.

Aussage des SED-Spitzenpolitikers Kurt Hager hat Öl ins Feuer gegossen

Die auf Gorbatschows Öffnung der Gesellschaft, Glasnost und Perestroika genannt, anspielende Aussage des SED-Spitzenpolitikers Kurt Hager hatte bereits 1987 Öl ins glimmende Feuer gegossen: „Würden Sie ... wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“, hatte er in einem Interview mit der westdeutschen Illustrierten Stern listig gefragt.

„Tapeten-Kutte“ wurde Hager fortan im Volksmund genannt. Dass 1989 aber die letzte Runde für Honecker & Co. eingeläutet werden würde, hat Anfang des Jahres wohl kaum einer geahnt. Auch wenn es im Nachhinein immer mehr wurden, die es schon immer gewusst haben wollten. (mz)