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Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle: Ausstellung "Krieg": Ein Knochenjob

Von Günter Kowa 05.11.2015, 19:57
Landesarchäologe Harald Meller vor dem freigelegten Lützener Massengrab vom 6. November 1632
Landesarchäologe Harald Meller vor dem freigelegten Lützener Massengrab vom 6. November 1632 Günter Bauer Lizenz

Halle (Saale) - Die Plakatierung stadt- und landesweit ist schon mal so knallig, dass man zusammenzuckt: KRIEG in kantigen weißen Lettern auf schwarzem Fond, auf dem etwas zu explodieren scheint. Doch bei näherem Hinsehen sind es antike Bronzeschwerter in strahlenförmiger Anordnung, und darunter liest man - wiewohl in Blutrot - die halbwegs beschwichtigende Erklärung: „Eine archäologische Spurensuche.“

Am Museum für Vorgeschichte in Halle bekommt Landesarchäologe Harald Meller eine neue Gelegenheit, seine gesammelten Bodenschätze zum Publikumsereignis zu machen. In „Krieg“ gibt er den Feindbilderklärer, den Deuter des militärischen Konflikts als einer urmenschlichen Erfindung.

Menschliche Aggressionstriebe

So wie der Katalog - schwer wie eine Kanonenkugel - mit einer Tiefenbohrung in Philosophie, Anthropologie und Psychologie auf die verborgenen Quellen menschlicher Aggressionstriebe einstimmt, will die Ausstellung den Anspruch der Archäologie erfüllen: „Ist der Krieg mit dem Beginn der Schriftlichkeit vor 5.000 Jahren schon voll entwickelt, kann die Spurensuche zu den Anfängen nur durch die Archäologie erfolgen“, sagt Meller.

Also führt die Ausstellung dorthin, wo die Archäologie die frühesten Schauplätze von Hass und Gewalt vermutet: den ältesten Mord (in Spanien vor 430.000 Jahren), die älteste Schlacht Europas (im Tollensetal in Mecklenburg, 1.200 vor Christus), bis sie schließlich auch den ältesten Friedensvertrag vorstellt, geschlossen in Keilschrift und Hieroglyphen zwischen Pharao Ramses II. und Hethiterkönig Hattusili III. 1259 vor Christus.

Kriegertum und Waffentechnik

Die Entwicklung von Kriegertum und Waffentechnik gehen Hand in Hand. Von den ersten Totschlägern (nach sportlichen Kategorien sortiert in den „Baseball-“ und den „Crocket“-Typus) verfolgt man den Werdegang der Waffentechnologie durch die Jahrtausende immerhin bis hinauf in den Dreißigjährigen Krieg. Der Besucher wird diesen Durchlauf an manchen Stellen ein wenig kurzatmig finden, die Fülle der Puzzleteile von fotografischen Bildpanoramen, archäologischen Fundstücken, kartografischen Orientierungshilfen und textlichen Erläuterungen liegt thematisch und räumlich sehr dicht beieinander.

Wo Raum genug gegeben ist, wird man umso wirkungsvoller in die Materie hineingezogen. Dieses bronzezeitliche Schlachtfeld im Tollensetal, zum Beispiel: Da können Fotos von dem abgelegen, in Schleifen und Bögen dahinfließenden Bach, den Grabungsschnitten an seinen Rändern, den Fundresten von Waffen und Zierrat und die wie immer unerschrocken realistischen Bilderfindungen von Museumsmaler Karol Schauer die Erzählung von einem „Gewaltkonflikt des 13. Jahrhunderts vor Christus“ veranschaulichen, die die Ausgräber jedenfalls zu ihrer Hypothese machen.

Mehrere hundert Leichen

Demnach trafen 2.000 bis 6.000 Männer überwiegend jüngeren Alters aufeinander. Die Unterlegenen befanden sich am Ufer, ihre Angreifer bedrängten sie von den Anhöhen, metzelten sie im Nahkampf am Bach. „Am Ende“, heißt es im Katalog, „müssen an einem schmalen Streifen des Flusses mehrere hundert Leichen gelegen haben, die in der Folgezeit allmählich verwesten und zerfielen, nachde sie geplündert worden waren.“

Eine erste Vernichtungsschlacht? Der ferne Urahn der Kesselschlachten von Somme und Marne und Stalingrad? Offenkundig wollten die Archäologen den Bogen nicht so weit spannen, ihre Mission reicht nur bis zum Dreißigjährigen Krieg. Doch auch, wenn man nur bis ins 17. Jahrhundert schaut: In der Bronzezeit war alles schon da, was kommen sollte.

Höhe- und Brennpunkt der Ausstellung ist das „Massengrab von Lützen“. Dieser Fund im August 2011 auf dem tellerflachen Ackerland , der Gustav Adolf von Schweden am 6. November 1632 zum Schicksalsort werden sollte, ist der vorläufig krönende Abschluss einer 2006 begonnenen Grabungskampagne. Erstmals wurde das Schlachtfeld systematisch nach Überbleibseln eines Waffengangs abgesucht, bei dem 30.000 Mann über den wahren Glauben, und die Macht in Europa entscheiden sollten.

Mythos der Schlacht

Dass es anders, im wesentlichen nämlich unentschieden ausging, hat dem Mythos dieser Schlacht nichts an Strahlkraft genommen. Auch heute werden in der „Schwedenkapelle“ die Gesandten der Schweden und Finnen, und der deutschen Protestanten zusammenkommen, um dem Tod des Schwedenkönigs zu gedenken.

Doch die Ausstellung wird sie nicht nur wegen der inszenierten Konfrontation der Schlachtenlenker von einst, Gustav Adolf und Wallenstein, nach Halle locken. Dem durchschossenen Lederwams des einen und den Stiefeln des anderen sind dort aber erstmals greifbar, wenn auch namenlos, die Schicksale ihrer Soldaten gegenübergestellt, genauer gesagt der armen Tröpfe, die sich als Söldner verdingten in der einzigen Aussicht auf Lohn aus Raub und Plünderung. Aus den Gerippen der achtlos in die Grube geworfenen Leiber hat die längst interdisziplinäre Wissenschaft der Archäologie das karge Leben und jämmerliche Sterben dieser jungen Männer rekonstruiert - das rührt an mehr als alles andere zusammen. Museum für Vorgeschichte in Halle: bis 22. Mai 2016, Di-Fr 9-17, Sa, So, 10-18 Uhr. Katalog 29,95 Euro. (mz)