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Landesheimatbund Landesheimatbund: Lektionen im Transferraum

Von CHRISTIAN EGER 26.11.2010, 18:12

Halle (Saale)/MZ. - Er lebt dort, wo er aufwuchs: in Zuchau, einem Dorf im Salzlandkreis, das seit Beginn dieses Jahres ein Ortsteil von Barby ist. Eine romanische Bruchsteinkirche und eine Pferdeschwemme in der Dorfmitte: Das ist der rund 300 Einwohner zählende Flecken, an dem man "Zuchsch" spricht. Alle Mitschüler seines Jahrganges seien längst aus Zuchau verschwunden, sagt Jörn Weinert. Er blieb: 34 Jahre alt, Familienvater, promovierter Germanist. "Mein Ziel war es, den Beruf so zu gestalten, dass ich bleiben kann." Das ist ihm gelungen. "Ich, mit meiner kleinen Stelle", sagt Weinert.

Die "kleine Stelle": Das ist seit 2005 der Posten als Geschäftsführer des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt, einem Dachverband von 16 000 in verschiedensten Vereinen und Initiativen engagierten Menschen. In Halle hat der Bund, der heute im Merseburger Ständehaus sein 20-jähriges Bestehen feiert, seine Geschäftsstelle. Zweimal in der Woche, sagt Jörn Weinert, fahre er von seinem Dorf aus nach Magdeburg, dreimal in Richtung Halle: "Da ist Zuchau fast der geografische Mittelpunkt".

Der Mittelpunkt von Weinerts gesellschaftlichem und privatem Leben ist das Dorf ohnehin. Seit zwölf Jahren ist der Bauernsohn, der 2006 in Halle über die "Sprache der Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels" promovierte, Mitglied des Gemeinde- und Ortschaftsrates. Was reizt daran? Das, was Weinert den "Vorteil" nennt: "die Erfahrungen der älteren Generationen nutzen zu können und diese an die kleinere Gruppe der Nachgeborenen weiterzugeben - ohne jede moralische Attitüde".

Heimat also, ein sehr deutsches Wort. Eines, das Anlass für ganze Bekenntnissammlungen bieten könnte und immer wieder geboten hat - in kulturellen Zyklen. Die letzte Heimat-Konjunktur kam nach der Epochenwende von 1989 übers Land. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges waren die ideologisch aufgeladenen Begriffe wieder da: "Deutschland", "Heimat", "Patriotismus". Das hat man nun alles bis zur friedlichsten Erschöpfung durchdiskutiert und es blieb das, was nicht hinterfragbar ist: Heimat als das Haus in der Welt, der jeweils persönliche und kulturelle Grund. Das buchstäblich Selbstverständliche. Das, worüber Jörn Weinert im Blick auf Zuchau sagt: "Ich liebe es". Nämlich? "Die Gemeinschaft, die sich bildet. Die Fähigkeit, sich in Krisenzeiten zusammenzuraufen." Sätze, die man selten hört. Die aus Weinerts Mund auch gar nicht protokollsteif klingen. Drei Termine, sagt der Mann mit dem schulterlangen braunen Haar, gäbe es in jedem Jahr, an denen er das Dorf keinesfalls verlassen könne: an den Tagen des Oster-, Heimat- und Weihnachtsfestes. Ostern auch deshalb, weil dann das große Ringreiten stattfinde.

Der richtige Mann für einen Verbund, der auf Ereignisse statt auf "Events" setzt. "Ich weiß ja", sagt Jörn Weinert, "der Name Landesheimatbund klingt zunächst etwas eigenartig. Überhaupt ist ein Wort wie Heimat mit Ideologisierungen und Instrumentalisierungen verbunden. Mir geht es heute um eine multikulturelle Genese unseres Heimatbegriffes." Und schon spricht der Historiker vom "sächsischen Transferraum", in dem wir hierzulande leben. Von Editha, der deutschen Königin aus dem englischen Wessex. Von Theophanu, der deutschen Kaiserin aus dem heute türkischen Byzanz. Von polnischen Land- und Bergarbeitern, die im 19. Jahrhundert nach Mitteldeutschland geholt worden sind. Das alles hat eben auch mit Heimat zu tun, mit einer seit Jahrtausenden fortlaufenden Globalisierung, kulturhistorisch betrachtet. "Heute sind wir an einer völkerverbindenden Art der Heimatpflege interessiert", sagt Jörn Weinert. Die offenen Grenzen machen es möglich. Zum Beispiel Eichendorff-Wanderungen durch Oberschlesien gemeinsam mit polnischen Studenten. "Traditionell weltoffen", sagt Weinert, sei der Slogan der Arbeit des Heimatbundes: "Und das nicht im Sinne eines Egozentrismus".

Insgesamt 72 korporative Mitlieder zählt der Bund, starke Vereinigungen darunter wie der Altmärkische oder der Anhaltische Heimatbund. Apropos Anhalt, das 2012 seinen 800. Geburtstag feiern will: Ist da bislang nicht zu wenig und das auch noch zu spät gelaufen? Das will Weinert nicht gelten lassen, der über die Fähigkeit verfügt, im Zweifelsfall das berühmte Glas Wasser halbvoll erscheinen zu lassen. Er schließt ein Gelingen des Festjahres nicht aus: "Man kann viel erreichen, wenn man vernetzt, was schon da ist. Und wir werden ja sehen, ob es zu wenig ist, was da rauskommt. Ich glaube das nicht."

Der Landesheimatbund mit seinen sieben fest angestellten Mitarbeitern kann da helfen: als Begleiter von Förderanträgen, als Brückenbauer in die Politik und Verwaltung hinein. "Ich würde mir wünschen, dass wir mehr europäisches Geld ins Land holen", sagt Weinert. "Dass wir den Bürgern helfen, diese Mittel zu nutzen." Keine einfache Sache. Wer EU-Geld nutzen will, muss in Vorleistung gehen; denn die Projekte werden geprüft, während sie bereits laufen. Deshalb schlägt Jörn Weinert eine Stiftung für bürgerschaftliches Engagement vor, die Zu- und Vorschüsse für heimatgeschichtliche Initiativen bereithält. "Zinslos Geld vorzuschießen, darum geht es. Da wären viele Leute viel engagierter."

20 Jahre Heimatbund: Wie soll der Verein in zehn Jahren aussehen? "Wir profitieren ja von den Älteren, der silbernen Generation", sagt Weinert. Also gehe es darum, auch junge Menschen anzusprechen. Das ist möglich: etwa bei Hip-Hop History Camps in der Jugendbildungsstätte Gröbzig oder bei den Geschichtscamps für Kinder in der Klosterkirche Nienburg. Und es sieht ja doch ganz gut für alles Heimatliche aus; sogar das Wandern ist gesamtgesellschaftlich angesagt. Jörn Weinert setzt darauf, aus anderen Weltgegenden zugewanderte Mitbürger in den Verband zu holen. "Ich sage nicht Multikulti", erklärt Weinert. "Ich bin kein Romantiker. Aber ich freue mich darauf, dass wir gemeinsam Heimat gestalten. Der Landesheimatbund ist dafür eine Plattform."

"Traditionell weltoffen": Landeskonferenz des Heimatbundes, Sonnabend von 9.30 Uhr an im Ständehaus Merseburg.