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Lady Gaga Lady Gaga: Von der Maus zur Mächtigen

Von STEFFEN KÖNAU 03.06.2011, 12:48

Halle (Saale)/MZ. - Sieben Minuten sitzt die schwarzhaarige Frau am Flügel, eine Maus mit strähniger Mähne, die Nase riesig, versteckt in einem Licht, dass mehr Schatten macht als es beleuchtet. Die Frau singt gellend, das Klavier klingelt, ein Bob Dylan aus Soprangesang, Seelenschmerz und schrägem Jazz.

Doch die da jammert, krude Koloraturen kreischt und fast ins Mikrophon beißt, ist keine Kandidatin für das nächste "Woman in Jazz"-Festival. Sondern eine Dame, die sich gerade anschickt, zum zweiten Mal in vier Jahren Popgeschichte zu schreiben: Hier am Klavier sitzt noch Stefani Germanotta. Wenig später aber wurde aus der verdrucksten Brünetten die grelle Blondine Lady Gaga. Und aus der beinahe schon gescheiterten Karriere das größte Popwunder, das die Welt seit Madonna und Michael Jackson erlebt hatte.

Die Kunstfigur, die ihr Freund und Produzent Rob Fusari ganz zufällig schuf, ebnete Stefani Germanotta den Weg ganz nach oben. Hatte die Kunstschülerin der New York University unter ihrem bürgerlichen Namen zwar einen Plattenvertrag ergattert, ihn aber gleich wieder verloren, gelang ihr in der Maske der schrillen und obszönen Gaga nun plötzlich alles. In nicht einmal zwei Jahren schrieb und produzierte sie ihr Debütalbum "The Fame", landete mit "Just Dance", "Poker Face", "Paparazzi", "Bad Romance", "Love Game" und "Telephone" ein halbes Dutzend Top-Ten-Hits, verkaufte mehr als 15 Millionen Alben und 51 Millionen Singles und erhielt fünf Grammy-Auszeichnungen.

Was soll danach noch kommen? Nun, Lady Gaga, mittlerweile 25, beantwortet diese Frage auf ihrem neuen, ihrem eigentlich erst zweiten Album auf ihre eigene Weise. "I don't speak German but I can if you like", singt sie, "Ich schleiban austa be clair Es kumpent madre monstère Aus-be". Ob Deutscher oder nicht, kein Mensch weltweit versteht, was die 25-Jährige im Lied "Scheiße" aus ihrem neuen Album "Born this Way" singt. Aber das ist auch egal, denn umso mehr wird darüber geredet.

Ein Konzept, das im Rockzirkus stets erfolgreich war. Von den Beatles über die Rolling Stones, von den Sex Pistols über Michael Jackson und Madonna bis zu Nirvana verdankten die großen Umsatzbringer ihre Absatzzahlen nie nur der Musik allein. Was zählte, war immer auch Image. Ein Hit geht vielleicht ins Ohr. Doch ein Skandal nagelt ihn dort für immer fest.

Niemand setzt dieses Grundwissen aus dem Bastelkasten der Großproduzenten so konsequent um wie Lady Gaga. Ob sie sich im Video zu "Alejandro" zwischen marschierenden Halbnackten mit frisch herausgerissenen blutenden Herzen beschenken lässt, in "Judas" singt "Jesus ist meine Tugend / Judas ist der Dämon, an den ich mich klammere", zu einer Preisverleihung in einem Kleid aus zehn Kilo frischem Schweinefleisch stolziert oder zum Fernsehinterview mit Absätzen aus Plastikpenissen erscheint - Schlagzeilen sind der Ikone von Billigbeats und Musicalmelodien sicher.

Gaga ist das, worauf die Popwelt gewartet hat, das zeigt sich auch mit der Veröffentlichung von "Born This Way". Die erste Singleauskopplung schrieb Geschichte, weil sie der erste Song war, der allein durch Downloads auf Platz 1 der Charts schoss. Gleichzeitig gelang Germanotta das Kunststück, als erste Künstlerin in Großbritannien vier Lieder zugleich in den Top 20 zu platzieren. Nebenbei legte sie dann noch das Online-Kaufhaus Amazon lahm. Dort hatte man die gute Idee gehabt, die "Born This Way"-CD für nur 99 Cent zum Download anzubieten. Allerdings war der Ansturm der Fans dann so groß, dass die Amazon-Server den Dienst quittierten.

Der Preis ist heiß. "Born This Way" versammelt die Popgeschichte in 17 Kapiteln. Germanotta singt einmal mehr überkandidelt, die Bässe brummen, wer sich an früher noch erinnern kann, findet Zitate von Trio, Madonna, Depeche Mode, den Cranberries und No Doubt, nur wiedergeboren aus dem Geist des Inhaltsleeren. Längst ist das Gaga-Kostüm unablösbar an Stefani Germanotta festgewachsen. Was auch immer die New Yorkerin tut oder sagt oder anzieht, es ist ein Thema weit über Musikfachzeitschriften hinaus. Eine Wandlung von der grauen Maus zur Mächtigsten im Lande Pop: Das Magazin "Forbes" führt die Lady seit kurzem als einflussreichste Prominente aus dem Unterhaltungsgeschäft.