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Kurt-Weill-Fest 2015 Kurt-Weill-Fest 2015: Aufmarsch der Götter im Anhaltischen Theater

Von joachim lange 02.03.2015, 15:41
Göttlich: Tänzer und Orchester des Anhaltischen Theaters präsentieren „Das verlorene Paradies“.
Göttlich: Tänzer und Orchester des Anhaltischen Theaters präsentieren „Das verlorene Paradies“. dpa Lizenz

dessau-rosslau - Diesmal fällt es direkt schwer, beim Hauptbeitrag des Anhaltischen Theaters für das laufende Kurt-Weill-Fest keinen doppelten Boden zu vermuten. Der Dessauer Ballettchef Tomasz Kajdanksi hat nämlich gemeinsam mit der Anhaltischen Philharmonie unter der Leitung von Daniel Carlberg eine neue Choreografie mit dem Titel „Das verlorene Paradies“ (als Impulsgeber diente John Miltons „Paradise Lost“) beigesteuert. Was beim Weill-Intendanten Michael Kaufmann offenbar nicht so hoch im Kurs steht, wie beim begeistert jubelnden Publikum.

Kaufmann hatte die Noch-Theaterleitung mit einem Statement ziemlich in Rage gebracht, das durchaus als Musterbeispiel von Opportunismus in der Nähe der Schamgrenze durchgehen kann. Der hatte nämlich dem letztlich rausgeschmissenen Generalintendanten André Bücker (und dem Ex-Bauhauschef Oswalt gleich noch mit) vorgehalten, dass beide hätten Zukunft gestalten können, wenn sie die „neuen Rahmenbedingungen“ akzeptiert hätten. Genauso wünschen sich die Politiker wahrscheinlich ihre Leute!

Eine künstlerische Großtat

Dass es gute Gründe gibt, genau diese Bedingungen und damit die kulturpolitische Weisheit der Landesregierung laut und vernehmlich in Frage zu stellen, ist offenbar nicht bis zu Kaufmann durchgedrungen. Dabei hat das Dessauer Theater allein in den Bücker-Jahren seit 2010 16 Eigen- und Koproduktionen zum Weill-Fest und damit zu seinem Erfolg beigesteuert. Und das unter immer schwieriger werdenden Bedingungen. Zu denen Mittelreduzierung, personeller Aderlass und letztlich die wachsende Selbstausbeutung der Künstler als Beitrag zum Erhalt der Sparten gehören.

Allein schon, dass diese Produktion auf dem in Dessau gewohnt hohen Niveau heraus gekommen ist, wird da zu einer künstlerischen Großtat. Mit allen für Kajdanski-Choreografien bewährten Bestandteilen. Eine kluge Stückauswahl, die instinktsichere Musikzusammenstellung und die tänzerische Fantasie machen daraus auch diesmal ein überzeugendes Gesamtkunstwerk. Gemeinsam mit Ausstatter Dorin Gal und Enrico Mazzis abstrakt zerfließenden und sich neu formenden Projektionen auf der Riesenleinwand hinter dem auf der Bühne platzierten Orchester. In einer Abfolge von 15 Nummern wird so Musik von Paul Hindemith (1895-1963), Kurt Weill (1900-1950) und Arnold Schönberg (1874-1951) auf eine kluge und sich atmosphärisch verdichtende Weise kombiniert. Hindemith’s Sinfonie „Mathis der Maler“ gibt mit ihren Satztiteln „Engelskonzert“, „Grablegung“ und „Versuchung des heiligen Antonius“ die geistige Weite und musikalische Stimmung für den ganzen achtzigminütigen Abend vor.

Das ist verwoben mit Klavierliedern von Kurt Weill aus seiner Berliner und französischen Zeit sowie einigen spätromantischen Schönberg Liedern, die Karen Helbing, Cornelia Marschall und Stefanie Kunschke auf offener Szene zwischen dem Orchester und den Tänzern beisteuern, während Gerald Fiedler aus dem Off Verse „Vom Dunkel ins Licht“ aus dem 2 000 Jahre alten Gilgamesch Epos rezitiert. In der tänzerischen Umsetzung zieht Kajdanski mit seiner auf Nicola Brockmann, Charline Debons, Nicole Luketic, Anna-Maria Tasarz, Thomas Ambrosini, Yusuf Cöl, Julio Miranda, Joe Monaghan und David Stiven Valencia Martinez reduzierten Truppe alle Register, um vom Glauben ans Paradies und seinen Gefährdungen für die Menschen zu erzählen.

Hoffnungsschimmer am Ende

Dabei fügen sich beeindruckend intensive Soli und Ensembles zu faszinierenden Bildern, die sich ruhig und geradezu entschleunigt, zugleich aber auch athletisch und raumgreifend in einem spannenden Bilderbogen entfalten. Den eröffnen und beschließen schreitende und mit Kopfschmuck herausgeputzte Götter. Mit einem Hoffnungsschimmer am Ende. Wenigstens ein Mensch erfährt göttliche Gnade. Dazwischen geht es um alle Schattierungen von Leidenschaft und Gefährdung, von Liebe und Streit, Sinnsuche und Spiel, von Flucht und Gefahr. Bis hin zu einem Ausbruch der Gewalt von dem ein Leichenfeld übrig bleibt. Schon Daniel Carlbergs Auswahl der Komponisten (mit ihren Biografien) schlagen die assoziative Brücke in die Gefährdungen des vergangen Jahrhunderts ebenso wie in die der Gegenwart.

Man kann nur hoffen, dass der designierte Dessauer Intendant Johannes Weigand weiß, welches künstlerische Potenzial er an Tomasz Kajdanksi und seiner (Rest-) Truppe hat. Die vielen Fans des Dessauer Balletts wissen das schon. Und bekanntlich kann ja jeder dazu lernen. Vielleicht sogar in Magdeburg. Aber dafür müssten die Götter wahrscheinlich wirklich höchstpersönlich für Erleuchtung sorgen. (mz)

Nächste Aufführungen: am 7. und 21. März 17 Uhr, 9. April 16 Uhr