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Kurt Weil in Amerika Kurt Weil in Amerika: Die Geburtsurkunde von Mackie Messer

Von ANDREAS HILLGER 27.04.2010, 17:06

ROCHESTER/MZ. - Die Notenblätter tragen die maschinellen Aufdrucke "Beethoven-Papier" und "Sünova Nr. 8, 20zeilig", die handschriftlichen Anweisungen sind klar zu lesen: "Ausrufer" steht neben der oberen Stimme, "Harmonium" darunter. Es ist das wohl berühmteste Notenblatt von der Hand des Komponisten Kurt Weill, das der Bibliothekar Dan Zager hier auf einen Tisch in der Sibley Library gelegt hat: die "Moritat von Mackie Messer" aus der "Dreigroschenoper".

Über Wien nach Amerika

Man muss weite Wege gehen, um die Autografen des 1900 in Dessau geborenen Komponisten besichtigen zu können. Die Bibliothek gehört zur Eastman School of Music and Theatre in Rochester, einer Stadt im US-Bundesstaat New York. Dass Weills deutsche Werke hier ihr vorläufiges Refugium gefunden haben, verdankt sich dem Musikwissenschaftler Kim Kowalke. Als Präsident der Kurt Weill Foundation for Music hat er die Partituren 1997 als Leihgabe aus Wien geholt, wo sie im Archiv der Universal Edition ruhten. Den letzten Anstoß zu der Aktion gab ein Erlebnis, das Kowalke noch im Rückblick mit Entsetzen erfüllt: Als er die "Dreigroschenoper" vor Ort einsehen wollte, brachte sie ein Bote aus der benachbarten Bibliothek - und trug das Werk dabei ungeschützt durch den Regen. Die Spuren der Tropfen sieht man noch auf dem wachsgelben Einband.

Als die Foundation daraufhin die Unterbringung des Nachlasses in Rochester durchsetzen wollte, wo Kowalke bis heute als Professor lehrt, waren die Wiener freilich nicht erbaut: Plötzlich sollte das eben noch so nachlässig behandelte Material als "nationales Kulturgut" gelten, die Einigung kam erst auf juristischem Wege zustande - unter der Bedingung, dass Manuskripte wie "Der Protagonist" und "Der Silbersee" künftig für Forschungszwecke zur Verfügung stehen sollten. Mittlerweile gelten die Handschriften - zusammen mit Weills amerikanischem Nachlass, der in der Yale-University betreut wird - als wichtigste Quelle für die kritische Gesamtausgabe, die bis zu ihrer Vollendung auf drei Dutzend Bände anwachsen soll. Sieben Teile sind bereits erschienen, neun andere werden von verschiedenen Herausgebern für die Veröffentlichung vorbereitet - darunter das Ballett "Die sieben Todsünden" und die Oper "Street Scene" unter Federführung von Kim Kowalke.

Dass sich in den Autografen neben nachträglichen Korrekturen und Varianten auch ungewöhnliche Spuren finden lassen, zeigt der Bibliothekar Zager anhand von "Mack the Knife". Die mit roter Tinte ergänzten Vermerke stammen von keinem Geringeren als Leonard Bernstein, der die "Threepenny Opera" 1954 als Off-Broadway-Produktion am New Yorker Theater de Lys herausbrachte - und dafür offenbar auf das Original zurückgreifen konnte. Da hatte Kurt Weills Frühwerk die Zeit der Verfemung durch den Nationalsozialismus gerade erst überstanden - in den Archiven am Wiener Karlsplatz, die in jenen Jahren unter deutscher Verwaltung standen.

Wettbewerb in Lenyas Namen

In Rochester, wo alljährlich auch ein Sänger-Wettbewerb im Namen von Weills Frau Lotte Lenya veranstaltet wird, sind sie nun in besten Händen. Ob sie hier freilich auch ihren endgültigen Platz gefunden haben, steht in den Sternen. Denn die Universal Edition, die sich mit den Rechten an Weills Stücken immer auch deren Urschrift sicherte, ist nach wie vor der Eigentümer der Schätze. Und wenn 2020 - 70 Jahre nach dem Tod des Autors - die Urheberrechte im deutschsprachigen Raum erloschen sind, könnte der Verkauf der Manuskripte noch einmal zusätzlichen Ertrag bringen. Ob solche Absichten tatsächlich existieren, weiß auch Kim Kowalke nicht. Sicher aber ist, dass eine Versteigerung der Weill-Handschriften erhebliche Summen bringen würde - und dass in einem solchen Fall auch der deutsche Staat über den Erwerb dieses einmaligen Kulturguts nachdenken müsste.

Für die Dessauer Delegation, die in der vergangenen Woche den Lenya-Wettbewerb und die Sisley Library besuchte, war ihre erste Begegnung mit den Originalen jedenfalls ein ehrfürchtig erwarteter Moment. Gespannt beugten sich Thomas Markworth, Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft, und Michael Kaufmann, Intendant des Kurt-Weill-Festes, gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Klemens Koschig über die akribisch gefüllten Notenlinien. Dass man ihnen die bestens klimatisierte Schatzkammer geöffnet hatte, war auch ein Zeichen für die gebesserten Beziehungen zwischen den amerikanischen Sachwaltern Weills und ihren deutschen Juniorpartnern. Und wer weiß: Vielleicht wird es in Weills Geburtsstadt ja irgendwann auch eine Ausstellung mit dessen Original-Handschriften geben - Einwilligungen aus Wien und Rochester natürlich vorausgesetzt.