Kurt Cobain Kurt Cobain: Ein unendlicher Abend im August
Halle (Saale) - Der Mann mit dem verfitzten Blondhaar stand auf dem Parkplatz hinter der Konzerthalle und hielt die Hand auf. "Ich habe ihm seine 500 Dollar Gage in die Hand gedrückt", erinnert sich der hallesche Konzertveranstalter Matthias Winkler, "dann hat er sich ins Campingmobil verdrückt."
Es ist der 28. August des Jahres 1991, ein heißer Sommertag, an dem die Zukunft des Rock'n'Roll zu Besuch an die Saale kommt. Als Vorgruppe ihres Konzertes in der Easyschorre hat die US-Gruppe Sonic Youth Nirvana eingeladen: eine Band, die niemand kennt. Die aber in den kaum drei Jahren bis zum tragischen Freitod ihres Frontmannes Kurt Cobain am 5. April 1994 die Welt verändern wird.
An diesem Abend allerdings ist davon nur ein Hauch zu spüren. "Bassist Krist Novoselic war schlecht gelaunt", erzählt Matthias Könau, Gitarrist der halleschen Band Allfarbe und damals beim Bühnenaufbau beschäftigt. Novoselic habe über Drummer Dave Grohl geschimpft. "Wahr ist", sagt Könau, "dass sie erst laut waren und dann schnell betrunken." Trotzdem, erinnert sich Schorre-Booker Dirk Götze, "alle im Saal spürten, dass da was Besonderes passiert". Wurde das Trio anfangs noch ignoriert, hörten beim dritten Lied alle gebannt zu. "Und danach wurde überall gefragt, wer das war."
Vier Wochen danach wusste es jeder. Am 24. September veröffentlichten Nirvana das Album "Nevermind", 12 Stücke, die Schockwellen um die Erde schickten: Nie zuvor war Wut so melodisch, Inbrunst so ernsthaft vorgetragen worden, hatte eine Gitarre so viel Kraft ausgestrahlt, eine Stimme so berührt.
Zwei Wochen später erhalten Nirvana ihre erste Goldene Schallplatte. Ende Oktober rotiert "Smells Like Teen Spirit" auf allen Kanälen. Anfang Januar steht "Nevermind" auf Platz 1. Und im April 1992 schauen Nirvana vom Cover des "Rolling Stone", der wichtigsten Musikzeitschrift der Welt. Ein Höhenflug, mit dem Sänger Cobain schlecht zurechtkommt. Der Junge im Karohemd sucht Zuflucht in Drogen und Zynismus. Er komponiert Lieder, die "I Hate Myself And I Want To Die" heißen. Flüchtet vor den Nachstellungen der Medien in die Arme der als unerschrocken geltenden Hole-Sängerin Coutney Love. Bekommt mit ihr seine Tochter Francis Bean.
Geholfen aber hat es nicht: Als Nirvana am 18. November 1993 in den Sony Studios in New York Platz nehmen, um ein "MTV-Unplugged"-Konzert zu geben, stehen Wahnsinn und Verzweiflung dem 27-Jährigen ins Gesicht geschrieben.
Die letzten vier Monate seines Lebens verbringt das größte Songwriter-Genie der Generation X zwischen Aufbegehren und Aufgebenwollen. Cobain spritzt wieder Heroin. In München spielen Nirvana Anfang März ihr letztes Konzert. In Rom bricht Kurt zusammen. Der Sänger landet in einer Entzugsklinik. Von dort jedoch flieht er, um sich in einem Zimmer über der Garage seines Hauses in Seattle mit einer Schrotflinte in den Kopf zu schießen.
Drei Tage später findet ihn morgens um 8.40 Uhr ein Elektriker. Cobain trägt Jeans und Sandalen, sein Abschiedsbrief endet: "Ich habe es gut und ich bin dankbar. Aber seit ich sieben war, habe ich alle Leute gehasst - es ist besser auszubrennen, als langsam zu verblassen."
In Dirk Götzes Büro in Halle hängt bis heute ein Plakat des Konzertes aus dem Sommer 1991. Kein bisschen verblasst.