Kunstschatz Kunstschatz: Die Spätheimkehrer
POTSDAM/MZ. - Dem Schlösserdirektor und seinen Mitarbeitern gingen die Augen über, als der junge Mann am 9. März sein Auto entlud. Davon träumt jeder Kunsthistoriker und Museumkustode: dass vermisste Kunstwerke eines Tages wie durch ein Wunder wieder auftauchen. Und nun hielten Samuel Wittwer, verantwortlich für die Ausstattung der ehemaligen preußischen Königsschlösser, und die beiden Gemälde-Kuratorinnnen Alexandra Bauer und Franziska Windt auf einmal gleich vier solcher verlorenen Kinder in der Hand - eine stillende Maria aus der Rubenswerkstatt und eine Kopie nach dessen berühmter Düsseldorfer "Himmelfahrt Mariä", eine "Bathseba" des Régence-Malers Jean Raoux sowie ein Damenbildnis des preußischen Hofkünstlers Antoine Pesne. Ihnen fehlten die Rahmen, aber sonst waren sie alle in gutem Zustand.
Eine Wohnungsauflösung
Aus vier wurden später sogar zehn Bilder: die bedeutendste Restitution, die die preußischen Schlösser seit dem Zweiten Weltkrieg erlebten. Heute werden die Heimkehrer in der Potsdamer Bildergalerie öffentlich vorgestellt.
An jenem denkwürdigen Märztag war die Sensation in vollem Ausmaß noch gar nicht abzusehen. Sechs Tage zuvor hatte Christian Gründel, der Mitbesitzer des Auktionshauses Historia in Schöneberg, in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) angerufen: Jemand sei mit einigen Gemälden bei ihm gewesen. Der Kunsthändler hatte schnell erkannt, dass es sich wohl um Kriegsverluste aus Potsdam handelte. Wenig später meldete sich ein Kunde - zunächst unter falschem Namen - selbst bei der Schlösserdirektion. Und jetzt stand der ungefähr 35-Jährige in Wittwers verwunschenem Verwaltungssitz mitten im Park Sanssouci. "Er war vollkommen fasziniert, wie man sich so für Bilder begeistern konnte, wie wir es taten", erzählt der Schlösserdirektor. 1942 waren die zehn Gemälde aus der Galerie von Sanssouci nach Schloss Rheinsberg ausgelagert worden, seit 1945 galten sie als verschollen.
Der junge Mann berichtete, er habe sie bei der Wohnungsauflösung einer Nachbarin gefunden. Er überließ die vier Gemälde der Schlösserstiftung und stellte auch keine Forderungen. Dann meldete er sich nicht mehr und war auch telefonisch nicht mehr erreichbar. Bis bei Wittwer eine E-Mail von der Lebensgefährtin des Bilderboten eintraf, die die sonderbare Geschichte ein wenig aufklärte. Der Fund bei der Nachbarin sei eine Schutzbehauptung und der Familie die Sache nicht geheuer - sie fürchtete, Ärger mit der Justiz zu bekommen. Und wollte die vermeintlich heiße Ware nur noch los werden. Eigene Ansprüche stellte sie keine.
So konnten Wittwer und seine Mitarbeiter am 20. April bei Gründel im Auktionshaus drei Gemälde von Nicolas Vleughels, Cornelis van Haarlem und Hendrik van Limborch abholen. Am 11. Mai folgten noch drei Bilder aus dem Umkreis des Rembrandt-Schülers Gerrit Dou. Nach und nach konnte Samuel Wittwer in diesen Wochen den Lauf der Dinge rekonstruieren.
Die Großtante der Einlieferer, die anonym bleiben möchten, hieß Olga Birkemeier. Ihr Mann war Kastellan von Schloss Rheinsberg. Dort wohnte sie, als im April 1945 die Russen anrückten. Rotarmisten misshandelten sie, sperrten sie in den Keller und vertrieben sie schließlich aus dem Schloss. In der Familie hieß es später immer, ein Mann habe Birkemeier die zehn dort eingelagerten Bilder als eine Art Entschädigung für die verlorene Wohnung gegeben.
Wittwer hält eine andere Erklärung für plausibler: "Ich vermute, sie nahm die Kunstwerke in Gewahrsam, um sie vor den Besatzern zu schützen. Das wäre für sie sehr riskant gewesen." Olga Birkemeier zog nach Zechlin, wo sie ein kleines Ladengeschäft betrieb. Für den Rubens und die übrigen Gemälde, die alle in eine Kiste passten, war dort kein Platz, so gab Olga sie ihrer Schwester in Ost-Berlin zur Verwahrung. Diese ging mit ihrem Sohn 1960 in den Westen, während ihre Tochter die Wohnung behielt - und damit auch die zehn Gemälde.
Preußische Inventaraufkleber
Die Familie hätte sie gerne verkauft, wusste aber nicht so recht, wie man das anstellt. Olga Birkemeier starb 1996 in Zechlin. Detlef Fuchs, der heutige Kustode und Denkmalpfleger in Rheinsberg, kannte sie noch und erinnert sich an eine Andeutung von ihr: "Wenn ich tot bin, werden die Schlösser etwas bekommen."
Was diese nun bekommen haben, ließ sich rasch feststellen. Zur Identifizierung genügte ein Blick auf ihre Rückseiten, sie alle trugen noch die charakteristischen preußischen Inventaraufkleber. Die Gemälde gehörten zur Bildergalerie, die Friedrich der Große ab 1755 neben Schloss Sanssouci errichten ließ.