Kunsthaus Apolda Kunsthaus Apolda: Späte Würdigung für Curt Herrmann
Apolda/MZ - Curt Herrmann hat man wohl kaum auf der Rechnung, wenn man nach deutschen Vertretern des Impressionismus und Neoimpressionismus fragt. Dabei ist der 1858 geborene, in Merseburg, Halle und Berlin aufgewachsene Künstler ein wichtiger Vertreter dieser Kunstrichtung um 1900. Es brauchte aber erst das Festjahr zu Henry van de Velde - an dessen 150. Geburtstag derzeit erinnert wird -, um den Blick auch auf Herrmann zu richten. Beide waren freundschaftlich verbunden. 1897 etwa porträtierte Herrmann den belgischen Freund und Kollegen mit dem edlen Pferdegesicht.
Das Kunsthaus Apolda, das mit schöner Regelmäßigkeit drei gewichtige Ausstellungen jährlich anbietet und damit viele Tausend Besucher anlockt, hat sich Curt Herrmanns angenommen und zeigt eine von Hans-Dieter Mück konzipierte Retrospektive mit Werken aus fünfzig Jahren. Die Auswahl ist thematisch, nicht chronologisch geordnet, zeigt aber dennoch deutlich die künstlerische Entwicklung Herrmanns.
Er begann als junger Mensch - der ohne Abitur von der Schule abging und sich auch einer klassischen Kunstausbildung mehr oder minder verweigerte - altmeisterlich in Farbe und Motiv. Das zeigt in Apolda neben dem besagten Velde-Porträt Herrmanns 1873 entstandene Selbstporträt: Da ist ein melancholischer junger Mann mit Kneifer vor einem rembrandtbraunen Hintergrund zu sehen. Wäre er auf dieser frühen Stufe verharrt, Curt Herrmann wäre wohl ein handwerklich großartiger Realist vom Schlage eines Wilhelm Leibl geworden. Doch mit dem französischen (Neo-)Impressionismus erlebte er sein künstlerisches Erweckungserlebnis. Denn um 1900 explodieren die Farben und Formen in Herrmanns Arbeiten.
Klare Formen aufgelöst
Er erfindet den Impressionismus zwar nicht neu, aber er findet mit ihm seinen künstlerischen Ausdruck. Mit großer Beharrlichkeit entwickelt Herrmann seinen eigenen Duktus - mögen die französischen Vorbilder in diesem Werk auch allzeit fühlbar sein.
Vor 1900 dominieren in seinen Arbeiten die Farbflächen, die bis dahin klar umrissenen Formen beginnen sich sukzessive aufzulösen. Am Titelmotiv der Apoldaer Schau, das Bild „Mädchen im Kahn beim Seerosenpflücken“ von 1896, lässt sich Herrmanns impressionistischer Stil exemplarisch studieren. Oder auch an dem Sommerstück „Am Strand von Binz auf Rügen“ (1899) sowie bei „Dame in rotem Kleid auf grünem Sessel“ (1893). Letztgenanntes Ölbild ist auch ein schönes Beispiel dafür, dass Herrmann keine Angst vor leerer Fläche hatte. Denn die rote Dame wurde so wenig zu Ende geführt wie der grüne Sessel, auf dem sie sitzt. Es finden sich zahlreiche weitere Werke in Apolda, die Herrmann für vollendet erklärte, obwohl er sie nicht zu Ende malte. Gelungen sind sie trotzdem. Betrachtet man die Entstehungsdaten der im Kunsthaus der Glockenstadt zusammengetragenen Exponate, so zeigt sich, dass sich die Jahrhundertwende und Herrmanns nächster ästhetischer Paradigmenwechsel überschneiden. Mit dem Jahr 1900 wechselt der Maler seine bis dato impressionistische Handschrift in eine neoimpressionistisch-pointilistische, wie sie in Frankreich von Paul Signac und Georges Seurat etabliert und auf deutscher Seite von Paul Baum (1859-1932) intensiv gepflegt worden ist: Herrmanns „Interieur mit Blumen auf Empire-Tisch“ (1900) etwa besteht nur noch aus feinen Pixeln.
Das setzt sich fort in farbkräftigen Gemälden aus kurzen, breiten Strichen und dicken Tupfern. Man betrachte diesbezüglich in Apolda sein motivisches England-Mitbringsel „Beim Tennisspielen in Surbiton an der Themse“ (1904). Ein Höhepunkt dieser Phase ist aber fraglos das Ölbild „Delfter Vase mit Blumen“ (1907). Ein Werk, von dem man glauben könnte, dass die Farben für dieses visuelle Feuerwerk Vincent van Gogh selbst gemischt haben müsse.
Ein ideales Betätigungsfeld für Herrmanns Pleinair-Malerei – der durchaus auch Berlin so pittoresk in Szene setzen konnte wie die französischen Impressionisten Paris – war das oberfränkische Schloss Pretzfeld, das den betuchten Schwiegereltern des Künstlers gehörte. Eine kaum überschaubare Zahl von Aquarellen entstand dort bis weit in die zwanziger Jahre.
Künstlerische Meisterschaft
Auf diesen werden die zusammenhängenden Farbflächen immer weniger; einzelne Farbinseln konturieren Berge und Bäume, Wiesen und Wolken. Ein Ausweis der künstlerischen Meisterschaft Curt Herrmanns, der sich ab 1923 bis zu seinem Tod 1929 wegen Depressionen wiederholt behandeln lassen musste. Diesbezüglich erhellend ist die detaillierte Lebenschronik, die, von Hans-Dieter Mück zusammengestellt, das Kernstück des Katalogs bildet.
Die Apoldaer Schau würdigt im Velde-Festjahr mit Curt Herrmann nicht nur einen guten Freund des belgischen Architekten und Designers, sondern zuerst und vor allem einen lange vergessenen, aber bedeutenden Vertreter des deutschen (Neo-)Impressionismus. Das verleiht der Ausstellung ihr kunsthistorisches Gewicht.
Kunsthaus Apolda, Bahnhofstraße 42, bis 18. August, Di-So 10-18 Uhr