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Kunst Kunst: Lehmbruck war Besessener der Moderne

Von andreas montag 25.10.2012, 18:09

apolda/MZ. - Nur 38 Jahre alt ist er geworden, gestorben von eigener Hand aus Verzweiflung am Unverständnis der Welt, dem er sich als Mensch wie als Künstler ausgesetzt sah. Der Liebeskummer hat ein Übriges dazu getan, Elisabeth Bergner, die große Schauspielerin und ebenso große Herzensbrecherin, hatte ihm zwar Modell gestanden, aber seine Liebe verschmäht. Eine Geschichte wie aus einem Kitschroman, aber voll echter Verzweiflung und furchtbarer Tragik.

Sieht man auf das Werk, das der Bildhauer, Maler und Zeichner Wilhelm Lehmbruck hinterlassen hat, wird man sich die Augen reiben angesichts der überwältigenden, oft dem Schmerz und der Trauer verschwisterten Schönheit, der frühen Meisterschaft und des fortgesetzten Suchens nach Vollendung.

Das Kunsthaus Apolda Avantgarde, das seit Jahren mit erlesenen Ausstellungen weit über den Thüringer Raum hinaus strahlt, bietet derzeit eine hervorragende Gelegenheit, sich in einer großen Werkschau selbst ein Bild davon zu machen. Gezeigt werden Skulpturen, Gemälde und grafische Arbeiten, wobei das Schwergewicht eindeutig auf der Plastik liegt.

Wohin gehört dieser Lehmbruck? Die Frage ist schwieriger zu beantworten als jene, wohin er nicht gehört: Der Naturalismus ist nicht seine wahre oder einzige Heimat, obwohl er als dessen Zeitgenosse natürlich nicht unbeeinflusst von ihm blieb. Und zu den Expressionisten zählt er ebensowenig, so sehr seine Versuche, die Realität gleichsam zu dehnen und in der Verfremdung zur Kenntlichkeit zu bringen, eher in diese Richtung zu deuten scheinen.

Tatsächlich hat Lehmbruck ein ganz eigenes, geschlossenes und schlüssiges Werk entwickelt, in dessen Zentrum die menschliche Figur steht. Die hat er, von frühen, fast neobarock anmutenden Arbeiten in nachfühlbarer, sich selbst auch quälender Art studiert und immer wieder auf ihre Ausdrucksfähigkeit geprüft. Am erstaunlichsten aber sind die reifen Ergebnisse dieser Suche nach einer gültigen, bildhauerischen Sprache, die sich Lehmbruck als eben 30-Jähriger buchstäblich erarbeitet hatte. Betrachtet man ein Werk wie den "Emporsteigenden Jüngling", entstanden in den Jahren 1913 / 1914, vor dem Hintergrund seiner Zeit, ist Ehrfurcht durchaus angezeigt: In den Jahren um den Beginn des Ersten Weltkrieges, als das wilhelminische Deutschland in nationaler Besoffenheit taumelte und dabei doch schon von tiefen inneren Widersprüchen gezeichnet war, hat Lehmbruck Figuren wie diese geschaffen, die so gänzlich aus dem Kanon der Selbstüberhebung herausfielen. Diese Plastiken taugten nicht zum Heldenbild, der Körper des "Jünglings", obgleich übergroß, ist eben nicht der Prototyp eines Übermenschen, den grüblerischen Kopf kann man sich nicht als den eines hurraschreienden Freiwilligen im Schützengraben vorstellen. Von geradezu antiker Schönheit ist dieser Körper, obgleich seine Proportionen in mutwilliger Weise verzerrt sind: Hals und Beine zu lang für den Rumpf, zu groß sind Unterarm und Hand geraten - dabei trumpft die Figur in der klassischen Pose auf, was wiederum die grüblerische, ja skeptische Haltung des Kopfes spannungsvoll kontrastiert. Kein Wunder, dass mehr als zwei Jahrzehnte später und lange nach Lehmbrucks Tod die neuen, furchtbaren Krieger, die Nationalsozialisten, in diesem Werk die Züge dessen erkannten, wovor sie sich fürchteten: Freien Geist, den sie deshalb "entartet" nannten. Die "Kniende", 1911 entstanden, hat solchen Hass auf sich gezogen, auch sie mit überlangen Beinen und einem Körper, der nicht "zu stimmen" scheint, aber gerade daraus - und aus der tief berührenden Unschuld, die sie ausstrahlt, ihre faszinierende Kraft gewinnt. Auf der ersten und auf der dritten Documenta in Kassel, 1955 und 1964, ist die Plastik ausgestellt worden, heute hat sie ihren Platz im Museum of Modern Art in New York.

Mit den 1915 entstandenen Skulpturen des "Gefallenen" und des "Gestürzten" schließlich hat sich Lehmbruck künstlerisch vollendet auf die Seite der gequälten Kreatur gestellt und den Sprung in die Moderne vollendet.

Umso erschütternder ist die tiefe Verunsicherung, die den Künstler im Jahr 1919 derart ergriffen haben musste, dass selbst die ihm angetragene Mitgliedschaft in der Preußischen Akademie der Künste, eine Art Ritterschlag, nichts dagegen auszurichten vermochte. Die Verzweiflung muss übergroß und erdrückend gewesen sein.

Es ist das Leben eines höchst Empfindsamen gewesen, stellt man sich heute vor. Neben seiner Profession, dem Bildnerischen, hat er auch Geige gespielt, "weder gut noch schlecht, aber mit der gleichen Überzartheit, die er als Mensch hatte", wie der Maler Hans Richter über Begegnungen mit Lehmbruck im Jahr 1916 zu Protokoll gegeben hat.

Vielleicht hat die Angst, nicht anerkannt zu werden, sich nicht hinreichend mitteilen zu können, ihre Ursache auch in der sozialen Herkunft Lehmbrucks. Dabei liest sich die Geschichte seines Beginnens zunächst ganz ähnlich rührend wie die Liebestragödie am Ende: Heinrich Wilhelm Lehmbruck ist am 4. Januar 1881 in Meiderich (heute zu Duisburg gehörend) als viertes von acht Kindern einer Bergarbeiterfamilie geboren worden.

Frühzeitig fiel das Talent des Knaben auf, als 13-Jähriger schnitzte er aus einem Gipsblock eine verkleinerte Kopie von Schlüters "Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten". So hat es der Junge zu einem Staatsstipendium und akademischer Ausbildung gebracht. Zum großen Künstler hernach. Nur glücklich geworden ist er nicht.

Kunsthaus Apolda, Bahnhofstr. 42, bis 16. Dezember, Di-So 10-18 Uhr