Kunst Kunst: Der Letzte der Leipziger Schule arbeitet wie ein Besessener

Strodehne/Leipzig/dpa. - Der Mann vor der Leinwand ist Kämpferund «Regisseur», die Kreaturen auf der Leinwand sind aus Farbengeschaffene Statisten. Wie ein Besessener arbeitet der letzteÜberlebende der Leipziger Schule, Bernhard Heisig, in seinem Atelierim Havelland. Täglich sechs Stunden sitzt er im Rollstuhl vor derStaffelei, strebt nach vollendeter Perfektion. «Bilder, die sichnicht auch mit dem Tod beschäftigen, sind keine Bilder», grummeltHeisig, der am Donnerstag (31. März) 80 Jahre alt wird.
Eine von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Retrospektive«Die Wut der Bilder» mit 133 Gemälden und Zeichnungen im Museum derbildenden Künste Leipzig gibt seit dem 20. März Einblick in die Weltdes «pessimistischen Optimisten», wie Heisig sich selbst nennt. DasThema seiner teils expressiv-leidenschaftlichen Werke ist seitJahrzehnten das gleiche: die Gewalt des Menschen am Menschen.
«Manche Bilder würde ich heute anders machen», sagt Heisig. DerKonjunktiv stört ihn wenig, selbst verkaufte Bilder korrigiert ernachträglich - mal mit, mal ohne Einverständnis der Eigentümer.«Gudrun, lenk mal die Aufsicht ab», soll er seiner Frau und einstigenSchülerin, der Malerin Gudrun Brüne, einst in Leipzig zugerufenhaben. Im Bildermuseum korrigierte er dann mit Pinsel und Farbebewaffnet seelenruhig einige Gesichter auf seinem Werk «PariserKommune». Aus dem Museum Altenburg hat er sich «Die Festung Breslau -die Stadt und ihre Mörder» zur Überarbeitung ausgeliehen.
Das Hohelied auf die Freiheit der Kunst will Heisig nicht singen.«Künstler sind nie frei, sie dürfen gar nicht frei sein.» Der 1925 inBreslau geborene Maler meldete sich mit 17 Jahren freiwillig zur SS-Panzerdivision, wurde schwer verwundet. 1947 trat er freiwillig indie SED ein, 1951 brach er das Malerstudium ab, zehn Jahre später warer Professor und Rektor der Kunsthochschule Leipzig. 1964 wurde erabgesetzt, weil er auf dem Kongress des Verbandes Bildender Künstlerdie Partei einen Kindergarten genannt hatte. Offiziell hieß es, erhabe seine Erziehungsaufgaben vernachlässigt. «Was der Künstlerdenkt, und was der Beobachter denkt, ist verschieden. Daraus entstehtdas Reibungsfeld.»
Heisig liebt die Auseinandersetzung - vor allem mit seinerBiografie. Die Landschaft rund um den 400-Seelen-Ort Strodehne mitKartoffeläckern und Alleen unweit der wilhelminischen Schlachtfeldergeben dem rigorosen Moralisten geistige Nahrung. Die anderen beiden2004 gestorbenen Vertreter der Leipziger Malertrinität, WolfgangMattheuer und Werner Tübke, haben Heisig auf seinem «Landsitz» niebesucht. Seine erste und wichtigste Kritikerin ist seine Frau, die imNachbaratelier arbeitet.
«Ich bin noch nicht ganz mit dem Krieg fertig», sagt Heisig mitgebrochener Stimme. Die aktuelle Politik, das Erstarken der Neonazis,der Krieg in weiten Teilen der Welt stachle ihn an. Das Weltgeschehensetzt er ins Zweidimensionale um, bis sich Bildschichten überlagernund durchdringen. «In jedem seiner Werke stecken sechs bis siebenBilder», sagt sein Berliner Galerist Dieter Brusberg. Statt neuerLeinwände übermale Heisig lieber alte. Seine großformatigen Bildererzielen Spitzenpreise von bis zu 250 000 Euro.
Weil auch sein Vater wie seine beiden Söhne Johannes Heisig undWalter Eisler den Malerberuf wählten, scheut der Altmeister denVergleich mit anderen Malerfamilien wie Cranach und Holbein nicht.Nur die Bezeichnung «Staatsmaler» lehnt er kategorisch ab. «Ich habein meinem Leben zwei Bilder im Staatsauftrag gemalt, den "Ikarus" fürden Palast der Republik und das Kanzlerporträt Helmut Schmidts», sagtHeisig. Sein Wunsch zum 80. ist, dass er 90 werde. «100 nicht, ichbin doch nicht Johannes Heesters.»