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Kunst Kunst: Ausstellungsmacher Harald Szeemann ist gestorben

20.02.2005, 16:45
Harald Szeemann im Juni 2001 auf der Kunstausstellung in Venedig. (Foto: dpa)
Harald Szeemann im Juni 2001 auf der Kunstausstellung in Venedig. (Foto: dpa) KEYSTONE FILES

Bern/Hamburg/dpa. - Der Präsident der Biennale in Venedig, Davide Croff, würdigte amSamstag die Verdienste des mutigen Ausstellungsmachers: «SzeemannsTod ist ein herber Verlust für die Welt der Kunst. Sie wird seinTalent als Kritiker und Organisator vermissen.»

Die von Szeemann geprägte «documenta 5» hob die Grenzen zwischenHoch- und Trivialkultur auf und öffnete die Museumstore für Werbung,Kitsch oder Spielzeug. Happenings oder Experimentalfilme traten andie Stelle ordentlich aufgehängter Gemälde. Joseph Beuys betriebhundert Tage lang ein «Büro der Organisation für direkte Demokratiedurch Volksabstimmung».

Erst vor kurzem wählte die «documenta»-Stadt Kassel den am 11.Juni 1933 in Bern geborenen Szeemann zum Preisträger des mit 10 000Euro dotierten Bürgerpreises «Das Glas der Vernunft». Der Preis hätteim Herbst verliehen werden sollen. Szeemann lebte zuletzt in Tegna imSüdschweizer Kanton Tessin.

Schon mit 28 Jahren hatte der promovierte Kunsthistoriker 1961 dieLeitung der Kunsthalle Bern übernommen. Zuvor war er bereits alsSchauspieler, Bühnenbildner, Maler und Texter tätig gewesen. In Bernzeigte er sich als innovativer, um die Erweiterung des bestehendenKunstbegriffs bemühter Ausstellungsmacher. Er informierte in seinemHaus über die neuesten Tendenzen, wie die Kinetische Kunst (1965),die Phantastische Kunst (1966), Science Fiction (1967) undermöglichte 1968 dem Künstler Christo mit der Verpackung derKunsthalle die erste große Verhüllungsaktion. Nach heftiger Kritik anseiner Ausstellung «When Attitudes Become Form» (1969) über diekünstlerische Avantgarde verließ er Bern.

Szeemann gründete die «Agentur für geistige Gastarbeit» undarbeitete fortan als freier Ausstellungsmacher. Zwei Jahre späterarrangierte er detailgetreu in seiner Wohnung das Leben und Wirkenseines toten Großvaters als Haarkünstler. Er wollte damit «ausObjekten wieder Leben machen». 1973 fasste er sein persönlichesAusstellungskonzept unter dem Titel «Museum der Obsessionen»zusammen. Dieses nur in der Vorstellung existierende Museum sollteGrenzen überwinden und kreative Energien verdeutlichen.

Zum «Halbgott der europäischen Intelligenz», wie die «SüddeutscheZeitung» es formulierte, wurde Szeemann mit drei Ausstellungen, dieer seit Mitte der Siebziger produzierte: «Junggesellenmaschinen»(1975), eine Schau zu sadomasochistischen Texten undMaschinenfantasien von Deleuze und Kafka, von Freud und Duchamp, diePräsentation über die Künstlerkolonie «Monte Verità» am Lago Maggiore(1979) und schließlich «Der Hang zum Gesamtkunstwerk» (1983). In den80er und 90er Jahren organisierte Szeemann Einzelausstellungen imKunsthaus Zürich - unter anderem mit Werken von Delacroix,Immendorff, Polke, Merz, Baselitz, Serra und Beuys - in Basel undAscona.

In der großen Themenausstellung «Zeitlos» (1988) im HamburgerBahnhof in Berlin stellte er eine Auswahl der inzwischen anerkanntenaktuellen Kunst vor. 1989 inszenierte er mit «Einleuchten» eineweitere Themenausstellung zur Eröffnung der Hamburger Deichtorhallenmit Meistern der aktuellen Kunst wie Richard Serra, Georg Baselitzoder Bruce Nauman. Mit Avantgarde-Künstlern gestaltete er alsGastkurator 1997 die vierte Biennale zeitgenössischer Kunst in Lyon.Als Direktor der Sparte «Visuelle Kunst» (1998-2002) bei der 48.Biennale von Venedig erweiterte er die Ausstellungsfläche um eineReihe von Industriebrachen und schaffte das Generalthema sowie dieAltersbeschränkungen ab.