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Kultobjekt Kultobjekt: Das Moskau startet ins zweite Leben

Von INGEBORG RUTHE 26.02.2010, 17:01

Halle/MZ. - Das Café Moskau war die legendärste Restauration in Ost-Berlin, eröffnet 1964 als Gastronomie- und Vergnügungs-Flaggschiff. Nun erwacht es aus dem Koma. Diese stahl-gläserne architektonische Ikone der 1960er Jahre, von SED-Chef Walter Ulbricht ausdrücklich in diesem "International Style" erlaubt, wurde gebaut vom Architekten Josef Kaiser. Hinter ihm stand mit all seinem Einfluss der Stalin-Allee-Architekt Hermann Henselmann. Kaiser wagte radikale Reduktion und Transparenz. Mit dem Sputnik kam eine Weltraumallegorie dazu. An keinem Gebäude ließ sich sozialistische Utopie so plastisch ablesen wie am Café Moskau: Von der Sowjetunion lernen, hieß siegen lernen. Und wer den Kosmos eroberte, dem gehörte die Welt.

Die Welt kam tatsächlich gern hierher. Ostberliner führten den Westbesuch hier aus; allerdings musste man lange vorbestellen. Bald nach dem Mauerfall war im Café Moskau Küchen- und Bar-Schluss. Die Nachtbar im Keller mit ihren wilden Festen seit 1964 wurde Geschichte. Der "Verkehrte Ball" jeden Mittwoch in den 80ern ebenso. Da hatte sich manche lebenshungrige Eva (Ost) ihren Adam (West) geangelt, der sie dann prompt "rüberheiratete".

Seit 1997 gab es noch vereinzelte Partys, Ausstellungen, auch Messen. Seit Kurzem aber befindet sich das Café samt Sputnik wieder auf Kurs. Nun ist der einstige Kultort aufs Feinste restauriert. Anfang März ist offizielle Eröffnung, aber schon vorher stand alles bereit für "Housewarming-Partys". Wer feiern wollte, konnte und kann auch weiterhin bestellen. Der Besitzer und Investor Nicolas Berggruen, Sohn des Sammlers und Mäzens Heinz Berggruen - Gründer des Charlottenburger Museums "Picasso und seine Zeit" - hatte nichts dagegen. Und die künftigen Betreiber vom E-Werk, einem Ort der Event-Kultur, natürlich auch nicht.

An ein öffentliches Restaurant denken die Betreiber indes noch nicht, es wird zunächst ein Haus zum Mieten - für Unternehmen, Organisationen, Familien. Für alles wird perfekt gesorgt, vom Büfett bis zur Musik. Silke Friedrich vom E-Werk zählt auf, was das Haus zu bieten hat: 3 500 Quadratmeter und 15 verschiedene Raumvarianten. Das sind die Voraussetzungen für jede Art von Veranstaltung: Feste, Tagungen, Kongresse, Messen, Ausstellungen, Workshops, Clubabende. Bis zu 800 Personen können sich gleichzeitig in den Salons aufhalten. Der Club im Untergeschoss kann wieder als Nachtbar oder Diskothek genutzt werden.

Der junge Berggruen kaufte das verlassene Haus 2007 von der Treuhand. Über Geld spricht er nicht, aber die Rede ist von mindestens zehn Millionen Euro. Ein ziemliches Wagnis, denn das urbane Leben will in der Karl-Marx-Allee einfach nicht in die Gänge kommen, obwohl sie mitten in den Szene-Bezirken Mitte und Friedrichshain liegt. Das Kino International schräg gegenüber, auch ein Bau von Josef Kaiser, gehört zwar ebenfalls zu den Legenden, leidet aber unübersehbar an seiner verschlissenen Substanz. Die einstige Mocca-Milch-Eisbar direkt gegenüber war früher Kult, heißt jetzt "Alberts", wirbt mit Sonntags-Brunch und müht sich mit Sonderangeboten, mit Lesungen und Themenabenden um die meist schon in die Jahre gekommene Anwohnerschaft als Gäste. Direkt dahinter hat sich ein Bordell etabliert. In der Nachbarschaft gibt es einen weiteren 60er-Jahre-Pavillon, wo ein Sanitärfachgeschäft Krankenpflegeartikel anbietet.

Umso verlockender der Anblick des "Moskau". Der denkmalgeschützte Flachbau mit dem dekorativen Mosaik an der Fassade sieht nach zweijähriger Restaurierung wieder aus wie einst. Das loben auch ältere Bewohner der Plattenbauten hinter dem Café Moskau. Es gäbe nichts zu meckern, sagen sie. Die Sichtachsen sind wieder frei, die eloxierten Aluminiumrahmen der Fenster aufgearbeitet. Und das mit Goldsteinchen durchsetzte Mosaik von Bert Heller "Aus dem Leben der Völker der Sowjetunion" verbreitet Optimismus. Im atriumartigen Innenhof sprudelt ein stählerner Brunnen, da stehen Skulpturen aus DDR-Zeit, aber keine Arbeiterhelden, sondern futuristische Gebilde.

Auch innen ist alles denkmalgetreu so wiederhergestellt, wie 60 Architekten, Designer und Bildkünstler das Café einst ausgestattet hatten: das massive Stabparkett, die Schieferböden, die hellen Holzdecken mit indirekter Beleuchtung, die cremefarbenen Vorhänge. Mit Mosaiken, Plastiken, Intarsien und auch den kitschigen Moskau-Ansichten und russischen Blumendekors aus Keramik ist das Gesamtkunstwerk Café Moskau wiedererstanden. Erstaunlich gut erhalten hat sich der originale Marmorfußboden, rotbraun und hell geädert; eben typisch russisch, behaupten Kenner. Tatsächlich stammt der Stein aus Sachsen.

Nicolas Berggruen ist glücklich mit dem Ergebnis. "Es erfüllt sich ein Traum", sagt er. Der 47-Jährige erzählt von seiner ersten Begegnung mit dem Gebäude vor 27 Jahren. Er war mit Freunden aus Paris in West-Berlin, sie machten einen Trip in den Osten. Es war ein Nachmittag im Sommer, und weil sie die frühere Stalin-Allee sehen wollten, landeten sie im Café Moskau. Die Pariser staunten nicht schlecht. "Im ,Moskau gab es zahlreiche und raffinierte Etablissements: ein lichtes Tanzcafé - mit Blick auf die Allee, die Speisesalons Minsk, Riga und Tallinn, das Grusinische Zimmer, eine Bar, einen Rosengarten und drei Küchen." Und die Karte! "Pelmeni, Schaschlik und natürlich Wodka. Exotik pur."

Die Atmosphäre von damals hat er nie vergessen. "Ich war überrascht von dieser Freizügigkeit und Offenheit. Wo war hier der Stalinismus? Faszinierend fand ich diese großzügige Architektur, undenkbar bei einem Restaurant in West-Berlin in solcher Lage", sagt Berggruen. "Als das Haus zum Verkauf stand, habe ich keinen Moment gezögert. Ich sehe das als Riesenchance, dieses Monument aus DDR-Zeit kulturell wieder zu beleben. Der Ort ist für mich so bedeutend wie der Checkpoint Charlie. Ich zweifle nicht, dass in die Karl-Marx-Allee noch richtiges Weltstadt-Flair kommt. Geduld."