Kritischer Wendezeit-Begleiter Kritischer Wendezeit-Begleiter: Elf 99-Moderator Ingo Dubinski erinnert sich

Ein „Bambi“ für eine Sendung des DDR-Fernsehens. Das war im Dezember 1989 eine kleine TV-Sensation. Wenn auch im Zuge des Mauerfall-Jubels verliehen, war die Ehrung mit diesem wichtigen bundesdeutschen Medienpreis für das Fernsehmagazin Elf 99 ein Ritterschlag. Bekommen hatte die Redaktion des „Jugendnachmittags“ die Auszeichnung auch für eine Spezialsendung, die am 24. November 1989 ausgestrahlt wurde, vor 30 Jahren also.
Damals besuchte der Reporter Jan Carpentier mit einem Kamerateam erstmals die Waldsiedlung Wandlitz. Jene Wohnanlage bei Berlin, in der viele der DDR-Parteioberen lebten. Die Aufnahmen zeigten eine andere Welt: Luxuriöse Einfamilienhäuser, die mit Stereoanlage, Videorekorder und Privatsauna ausgestattet waren. „Die hier lebten, predigten für 16 Millionen Wasser und tranken selbst Wein“, kommentierte Carpentier seinen Besuch.
Lebhafte Erinnerungen an diese bewegte Zeit hat auch Ingo Dubinski. Der TV-Moderator war lange Teil des Elf 99-Teams. Er begrüßte am 1. September 1989 die Zuschauer zur ersten Sendung, war eines der bekanntesten Gesichter des Magazins. Mit der MZ spricht er am Rande des Thüringer Bauernmarktes, bei dem er das Bühnenprogramm moderiert, über seine Elf 99-Zeit. Und die begann wenig harmonisch.
Denn beim Jugendnachmittag anzufangen, kommt Dubinski zu Beginn wie eine Strafe vor. Die Sendung war ein Projekt des DDR-Fernsehens. Ins Leben gerufen wurde sie in einer Zeit, in der es im Land heftig rumorte. „Allen war klar, worum es gehen sollte: Die Jugend der DDR wieder auf die Linie der politischen Führung holen“, sagt Dubinski. Für ihn, damals 25 Jahre alt, sei das politisches Harakiri gewesen. „Im Studium waren wir begeistert von Gorbatschow, die DDR-Führung machte aber immer wieder deutlich: Nur weil der Nachbar renoviert, müssen wir nicht auch malern.“
Sport-Reporter Dubinski bei Elf 99: Berlin-Adlershof statt weite Welt
Dubinski, der später Tausende TV-Sendungen moderieren und zum „Gottschalk des Ostens“ werden sollte, war 1989 noch Journalistik-Student in Leipzig. Gerade hatte er den Sprung in die Sportreporter-Gruppe geschafft – für ihn die Chance, durch Olympia und Weltmeisterschaften um den Globus zu reisen. „Mein Vater war in der Energiebranche und durfte sich viele Anlagen im Ausland ansehen“, erinnert sich Dubinski. Die Erzählungen von Schottland, Italien und Frankreich hätten ihn als Kind immer fasziniert.
Doch nun sollte er zu Elf 99. Nicht die weite Welt, sondern ein Studio in Berlin-Adlershof. „Ich hatte mich nicht darum beworben, die Leitung des Studiengangs entschied das einfach“, erzählt Dubinski. „Doch als ich dann auf die Redaktion traf, war das wie ein Schock für mich.“ Das Elf 99-Team will der Jugend den Sozialismus nicht schmackhaft machen. Es will das Land verändern - und wird so zu einem der einflussreichsten Begleiter der Umbruchzeit.
„Als ich das erste Mal ins Studio nach Adlershof kam, saßen da nur junge Leute, die die Schnauze voll hatten - vom Fernsehen, so wie es war.“ Im alten System wollte keiner mehr verharren, eine Art „Aktuelle Kamera“ für die Jugend sollte das neue Magazin nicht werden. „Elf 99 sahen sie als Chance, etwas anders zu machen.“
Elf 99-Team als einflussreicher Begleiter der Umbruchzeit
So einfach sei das allerdings nicht gewesen. Der Staat war zwar angeschlagen, aber noch nicht umgefallen. „Bei der Sendung war immer ein Parteisekretär im Studio“, erzählt Dubinski. Der schaute sich Texte und Themen vorab an. Griff auch ein, wenn er etwas für nicht sendbar hielt.
„Ein Kommentar von Jan Carpentier, in dem es auch um die Ausreisewelle ging, hatte der Parteisekretär komplett umgeschrieben“, erzählt Dubinski. Da der Kommentar immer live gesprochen wurde, habe Carpentier jedoch seine und nicht die veränderte Version vorgelesen. „Das war megamutig, hatte jedoch zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt auch der Kommentar vor der Sendung aufgezeichnet wurde.“
Die DDR wollte mit Elf 99 moderner wirken, Meinungsvielfalt war nicht das Ziel. Um das verstaubte Image abzulegen, wurden sogar Musikvideos von Bands aus dem Westen gezeigt. Das erste sagte Dubinski am 1. September 1989 an: „Blame it on the Rain“ von Milli Vanilli. Ein Mini-Meilenstein der ostdeutschen Fernsehgeschichte.
Mini-Meilenstein der ostdeutschen Fernsehgeschichte: Elf99 spiel Musik aus dem Westen
Weil der politische Apparat der DDR immer mehr ins Wanken gerät, ist nach nur wenigen Sendungen plötzlich der Parteisekretär weg. Die Mauer fällt - für Elf 99 ist das die erhoffte Befreiung. Plötzlich sei alles möglich gewesen. Und die Themen lagen auf der Straße. „Wir haben in Gefängnissen gedreht, das Wachregiment ,Feliks Dzierzynski’ aufgesucht und uns in der Waldsiedlung Wandlitz umgesehen.“ Elf 99 wird zum kritischen Beobachter der Wendezeit, auch zum Sprachrohr der DDR-Bürger - und für Dubinski wird die Sendung zum Karriere-Sprungbrett.
Sein Gesicht ist nun bundesweit bekannt. Er bekommt Sendungen beim Mitteldeutschen Rundfunk, aber auch bei westdeutschen Fernsehanstalten. In Hamburg darf er Udo Lindenberg interviewen und mit seinem eigenen Reisemagazin ganz Europa erkunden. In den 90er Jahren gilt Dubinski als meistbeschäftigter Moderator Deutschlands. Zeitweise hat er fünf Sendungen gleichzeitig - Elf 99 gehört allerdings schon bald nicht mehr dazu.
Das Ende von Elf 99. Aber Dubinskis Gesicht wird bundesweit bekannt
Den „Jugendnachmittag“ wollen nach der Auflösung des DFF weder MDR noch ORB - die beiden Nachfolgeanstalten - weiterführen. RTL holt die Sendung ins eigene Programm, verschiebt sie jedoch bald zum Spartensender VOX. Elf 99 verliert zunehmend an Relevanz und wird im März 1994 eingestellt.
Ingo Dubinski steht zu diesem Zeitpunkt noch voll im Rampenlicht. Wenn er über die 90er Jahre spricht, dann benutzt er Worte wie „mega“, „Wahnsinn“ oder „geil“. Es ist seine Fernsehhochzeit, die nach der Jahrtausendwende langsam zu Ende geht.
Als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gelistet. So entschied die Kommission des MDR darüber:
Sicher auch, weil 2001 bekannt wird, dass er während seiner Armeezeit acht Monate lang als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt wurde. Eine Kommission des MDR stellte jedoch fest, dass Dubinski niemandem geschadet hatte. Er darf weitersenden.
Bis 2005 moderiert er noch im TV. Dann verschwindet er vom Bildschirm - bis heute ist das so geblieben. „Natürlich gibt es Momente in meinem Leben, die noch wehtun“, sagt Dubinski. „Aber auf meine Fernsehzeit blicke ich mit viel Freude zurück.“ Und vielleicht sei die ja auch noch nicht ganz vorbei.
Mehrmals habe RTL für das Dschungelcamp angefragt. „Da lehne ich aber immer dankend ab“, sagt Dubinski, der mit seiner Partnerin Silke Fischer und der gemeinsamen Tochter im sächsischen Vogtland lebt. „Wenn mir ein Sender allerdings eine Moderation anbieten würde, dann würde ich sicher nicht auflegen.“ (mz)
