«Kriegskinder» «Kriegskinder»: Trauma von Bomben und Tod quält viele Menschen

Hamburg/dpa. - Bei vielen alten Deutschen konnten körperlicheoder psychische Beschwerden und Störungen dabei eindeutig mitErlebnissen vor sechzig Jahren erklärt werden. Ursachen sind nebendem Verlust des Vaters oder der Eltern insbesondere auch dieErfahrungen von Bombardierungen und bei Mädchen die einerVergewaltigung. Die Zeitschrift «Psychologie heute» (Weinheim) gibtin ihrer Mai-Ausgabe einen Überblick über die einschlägigen Befunde.
Einen besonders eindrucksvollen Befund zeigte eine Erhebung derHamburger Psychologinnen Frauke Teegen und Verena Meister, an dersich 269 Menschen (76 Prozent Frauen) beteiligten, die als Kindfliehen mussten. Sie ergab, dass knapp zwei Drittel der Befragtenunter Intrusionen litten - das Erleben kehrt in Form von Bildern oderGeräuschen quälend zurück. Hinzu kommen depressiven Stimmungen undkörperlich spürbare Angstsymptome. Am meisten auf der Seele lagendiesen Menschen schreckliche einzelne Erfahrungen wie eigeneVergewaltigung, der Tod von Familienangehörigen oder dieKonfrontation mit misshandelten Toten. Die Befragten wurdenausgewählt unter zur Auskunft bereiten Zeitzeugen. PsychischeVorerkrankungen wurden nicht erfragt.
Am Mannheimer Zentralinstitut für seelische Gesundheit stelltenForscher bei einer Untersuchung verschiedener Altersgruppen beimJahrgang 1935 fest, dass Menschen 60 Jahre später häufiger anseelischen und psychosomatischen Beschwerden litten, wenn in derKindheit der Kontakt zum Vater fehlte. Zu ähnlichen Ergebnissen kamElmar Brähler von der Universität Leipzig in einer repräsentativenErhebung. Bei Frauen, denen als Kinder die Väter fehlten, fandBrähler vermehrt depressive Zustände, soziale Ängste und vegetativeStörungen. Die bei vaterlos aufgewachsenen Kriegskindern allgemeinfestgestellte physische und geistige Erschöpfung hänge auch damitzusammen, dass sie nach dem Krieg Erwachsenenfunktionen übernehmenmussten. Sie trugen zum Lebensunterhalt bei, führten den Haushalt,versorgten jüngere Geschwister.
Der Psychoanalytiker Hartmut Radebold (Kassel) berichtete im«Deutschen Ärzteblatt» unlängst ebenfalls über Auswirkungen einerlangfristigen Abwesenheit oder den Tod des Vaters. So führte offenbareine durch enges Zusammenleben geprägte Mutter-Kind-Beziehung beieiner fehlenden Vaterfigur besonders bei den Söhnen zueingeschränkter bis verunsicherter psychosozialer und psychosexuellerIdentität sowie auch zu Beziehungs- und Bindungsstörungen. Ein vonRadebold mitherausgegebenes Buch enthält Berichte von einstigenKriegskindern. Da wird deutlich, dass auch Söhne, deren Väter spätaus dem Krieg nach Hause kamen, große Probleme mit der eigenenIdentität haben. Die Väter waren zudem oftmals krank, verwundet oderin ihrer Seele geschädigt und ihren Söhnen kein Vorbild.
Radebold möchte die Erfahrungen des Krieges jedoch nicht mitTraumatisierungen gleichgesetzt wissen: Auch damals standenschützende Einflüsse zur Verfügung, wie etwa eine stabile Mutter-Kind-Beziehung, eine Großfamilien-Situation oder andere Männer wieältere Brüder oder Großväter.
Die aus zwei Vertriebenenfamilien stammende Diplom-PädagoginAstrid von Friesen (Freiberg/Sachsen) schließt aus vielen Gesprächenmit Kindern von Flüchtlingen, dass viele spätere Erkrankungen oderVerhaltensauffälligkeiten auch darauf zurückgehen, dass ihnen nachdem Krieg die Rolle zuwuchs, die Ehe ihrer traumatisierten Eltern zustabilisieren. Wie die Verfasserin des Buchs «Der lange Abschied»(Psychosozial-Verlag, Gießen, 2000) der dpa sagte, hatten andereKinder von der Mutter den unausgesprochenen oder ausgesprochenenAuftrag, den toten Vater zu ersetzen.
Wie besonders stark die Nachwirkung einer sechzig Jahrezurückliegenden Vergewaltigung sein kann, ist bei den wenigen Frauendeutlich geworden, die sich im Alter dazu im Fernsehen geäußerthaben. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler (Bielefeld) glaubt, dass dieMassenvergewaltigungen zwischen 1945 und 1949 durch Soldaten derRoten Armee in Zukunft stärker thematisiert werden. Wie er der dpasagte, widmen sich neuerdings besonders amerikanische Historikerinnendeutsch-jüdischer Abstammung dem damaligen Geschehen unter demLeitmotiv «Gewalt gegen Frauen». Wehler zufolge wird die Zahl derVergewaltigungen durch die Soldaten der Roten Armee auf mehrereMillionen geschätzt, darunter selbst Mädchen bis hinab zum Alter vonsechs Jahren. Allein in Berlin seien es im Frühjahr und Sommer 1945nach Schätzungen 300 000 bis 400 000 Vergewaltigungen gewesen.