Klopstock-Haus Klopstock-Haus: Winterschlaf am Finkenherd
QUEDLINBURG/MZ. - Klopstock? Muss das sein? Und wenn, dann heute? Eberhard Brecht, Bürgermeister von Quedlinburg, steht unter Druck. Seit zwei Jahren hat die Kommune keinen genehmigten Haushalt. Die finanziellen Einbrüche sind schwer kalkulierbar. Das Theater, die Grundschule Südstadt, die Tourismus-Marketing-Gesellschaft: Alles steht zur Debatte. "Oberkante Unterlippe" stehe ihm die Finanz-Misere der 21 000-Einwohner-Stadt, sagt der Bürgermeister mit SPD-Parteibuch. Chef einer Kommune, deren Kern als weltgrößtes Flächendenkmal den Weltkulturerbe-Status genießt.
Und mittendrin steht das Geburtshaus des deutschen Dichters Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803). Der prachtvollste Fachwerkbau am einzigartigen Finkenherd: seit 1899 geöffnet als Klopstock-Museum, eines der ältesten und schönsten Literaturmuseen Mitteldeutschlands überhaupt. Aber, wie es aussieht: Nicht mehr lange. Morgen wird der Stadtrat eine Schließung auf Probe durchwinken.
Klopstock, der wirkmächtigste deutschsprachige Dichter vor Goethe, eine Stifterfigur der deutschen Nationalliteratur. Ein Kultautor. Und: eine Kulturmacht. Geburt in Quedlinburg als Sohn eines Advokaten, Fürstenschule Schulpforte (über ein Stipendium), theologische Studien in Jena und Leipzig, 1750 Aufenthalt in Zürich. 1751 durch den dänischen König nach Kopenhagen berufen, lässt sich Klopstock 1770 in Hamburg nieder. Gegen eine moralisierend-rationale Poetik setzt dieser Dichter auf die Sprache des Herzens und erregten Ichs. In seinen Oden feiert er Natur, Freiheit, Vaterland. Ein Autor, der das Soziale begreift: Bürgerfreiheit und Republik. "Den politischen Aspekt", schrieb der Ostberliner Dichter Karl Mickel, habe er mit solcher Kraft gefasst, "daß seit Klopstock die deutsche politische Dichtung datiert." Noch bis in die 1980er Jahre wussten die deutschen Dichter, wen sie an Klopstock hatten. Braun, Czechowski und Mickel, Kunert und Rühmkorf, sie alle haben diesen Dichter gefeiert. "Unser Klopstock" hieß eine CD dieser Autoren, die 2003 im Wallstein Verlag erschienen war.
Das ist sieben Jahre her. Jetzt stehen in Quedlinburg die Zeichen auf "Oberkante Unterlippe". Bei den kulturellen Leistungen wird das Attribut "freiwillig" sehr genau betrachtet. Und da fällt auf, dass das Klopstock-Haus im Verbund der städtischen Museen, zu denen auch das Schloss- und das Fachwerkbaumuseum gehören, die niedrigsten Besucherzahlen einspielt. Jährlich 6 000 bis 8 000 Menschen sehen die Klopstock-Schau im Klopstockhaus, samt beigeordneten Ausstellungen unter anderen über die - ebenfalls in Quedlinburg geborene - erste deutsche promovierte Ärztin Dorothea Christiane Erxleben (1715-1762).
Zu wenig? Bei einer Schau zu einem Thema des 18. Jahrhunderts sind bis zu 8 000 Gäste eine ordentliche Ziffer. Trotzdem soll das Haus erstmals für den November 2010 sowie für den Januar und Februar 2011 geschlossen werden. Für den Winter also, ohne die Adventssaison. Man hätte schon mehr gewagt, aber eine komplette Schließung ist frühestens 2018 möglich, weil Fördermittel in das aufwändig von 1995 bis 1998 sanierte Baudenkmal geflossen sind. Was spart man? Nicht die Kosten für die Leiterin des Hauses, Brigitte Meixner, die offiziell zum Ende dieses Monats aus dem Dienst scheidet, ohne dass ihre Stelle neu besetzt wird. Nicht die laufenden Kosten für die Erhaltung des denkmalgeschützten Hauses und seiner wertvollen Klopstock-Sammlung. Aber die Kosten für zwei technische Stellen? Kasse, Aufsicht, Reinigung. Aber da man diese Personen nicht entlassen kann, spart man also: fast nichts.
Doch, doch, erklärt Eberhard Brecht. Man arbeite ja mit Arbeitszeitkonten, da käme schon etwas zusammen. "Es geht nicht um eine Nichtwürdigung von Herrn Klopstock. Es geht um eine vorübergehende Schließung des Hauses, bis die Kassen wieder voller sind", sagt der Bürgermeister. Ist die völlige Schließung eine Option? "Ich werde um mein Klopstockhaus kämpfen", sagt Brecht. "Es darf nicht dem Rotstift zum Opfer fallen. Aber garantieren kann ich nichts." Zumal sich Stimmen häufen: "Klopstock? Den kennt doch keiner!"
Von außen betrachtet: Quedlinburg spart wenig, aber verliert viel. Alle mitteldeutschen Städte kennen das Dilemma: überreiches Kulturerbe, abgründig leere Kassen. Aber das Klopstockhaus gehört zu Quedlinburg wie der Dom, der Schlossberg, inzwischen die Feiningergalerie. Was heißt: Ohne Klopstockhaus wird Quedlinburg nicht mehr vollständig sein. Wenn man vor Ort die Partner zum Nachdenken über diese einzigartige Erinnerungsstätte nicht findet, muss man sie überregional suchen. Um darüber nachzudenken, mit welchen Angeboten Leben in dieses Haus zu holen wäre. Wie die in die Jahre gekommene Klopstock-Ausstellung überholt werden könnte. Eine Schließung des Hauses ist für nichts eine Lösung: nicht für das grundsanierte Baudenkmal, nicht für das Finkenherd-Ensemble, nicht für den Charme der Kulturstadt Quedlinburg. Und da war von Klopstock noch gar nicht die Rede.