Klaus Staeck zum Tod von Günter Grass Klaus Staeck zum Tod von Günter Grass: "Er hat bis zur letzten Minute gekämpft"

Berlin - Herr Staeck, Günter Grass ist tot. Was bleibt?
Es bleibt die Erinnerung an einen wortmächtigen Autor und streitbaren Mitbürger, der keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen ist, wenn er sie für notwendig gehalten hat.
Grass hat alle wesentlichen Debatten seit Bestehen der Bundesrepublik mit geprägt. Ist er Vertreter einer aussterbenden Art?
Nein. Denn der Tod war und ist bei aller Trauer doch immer Aufforderung, die Arbeit fortzusetzen, wenn sie für wichtig gehalten wird. Die große Klage über diesen Tod hat nur einen Sinn, wenn sie in Aktivitäten in seinem Sinne mündet.
Hat das Engagement mit Grass’ eigenen biografischen Prägungen zu tun?
Ja, ich glaube schon. Denn er entstammte ja einer Generation, die den Krieg noch mitmachen musste. Wer eine Diktatur erlebt hat, lernt die Freiheit ganz anders zu schätzen und weiß, dass man sie nicht gratis bekommen kann und sie Mitarbeit verlangt. Das haben viele Menschen immer noch nicht verstanden, weil sie die Politik für alles verantwortlich machen, ohne selbst auf die Idee zu kommen, etwas zu tun.
Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte und einen engagierten Autor und Kämpfer für Demokratie und Frieden.
Wir haben uns nicht mit demselben Thema beschäftigt, aber wir waren Freunde und haben uns gegenseitig geschätzt.
Günter Grass ist gestorben. Das ist eine traurige Nachricht. Sein lit.Werk ist unsterblich. Die Blechtrommel war mein erstes wichtiges Buch.
Traurig, dass Günter Grass gestorben ist. Werde ihn als streitbaren und für Deutschland wertvollen Autoren in Erinnerung behalten.
Literaturnobelpreisträger, großer Autor, kritischer Geist. Ein Zeitgenosse mit dem Anspruch, verquer zum Zeitgeist zu liegen. #Grass
Mit Günter Grass hat uns ein großer Schriftsteller verlassen. Unsere Gedanken sind bei seinen Freunden & Angehörigen.
Günter #Grass war ein streitbarer Intellektueller - sein literarisches Werk bleibt überragend.
Mit Günter Grass ist einer der größten und zugleich streitbarsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte von uns gegangen. Mit seinem breiten kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Engagement hat er die bundesrepublikanische Geschichte über viele Jahre mitgeprägt. Der freiheitliche Geist der Bundesrepublik wurde auch durch Intellektuelle wie Günter Grass mit Leben gefüllt.(...)
Günter #Grass - ein großer und streitbarer Literat geht. Gerne erinnere ich mich an Gespräche mit ihm. #Traurig
"Der Schriftsteller als Zeitgenosse, wie ich ihn meine, wird immer verquer zum Zeitgeist liegen." Wir trauern um Günter #Grass.
Mit Günter Grass verliert die Welt der Literatur einen wortmächtigen Autor und unsere Republik einen ihrer streitbarsten Mitbürger. Wenn er die Demokratie in Gefahr sah, ging er keiner notwendigen Auseinandersetzung aus dem Wege.
Gott kann sich jetzt einiges anhören. #Grass
Helmut Schmidt hat von der „Scheiße des Krieges“ gesprochen. Das hätte Grass unterschreiben können, oder?
Ja, seine ganzen politischen Einmischungen waren ein einziger Appell, die Demokratie zu verteidigen. Und da wir wieder erstaunliche rechtsradikale Entwicklungen haben, die ich so auch nicht für möglich gehalten hätte, war sein Handeln eine permanente Mahnung – aber eben immer zugleich Aufforderung zur Mitarbeit, nicht nur zur Klage.
Und Grass‘ Nähe zur SPD – war sie ein Anachronismus?
Nein. Er hat die Politik nicht abgeschrieben, sondern als Partner betrachtet. Er hat sie gedrängt. Manchmal auch mehr erwartet, als Politik wirklich leisten kann. Und er hat nie Abschied genommen. Ich hatte eher den Eindruck, er war zum Schluss ein Sozialdemokrat ohne Parteibuch. Er ist zwar aus Zorn mal ausgetreten. Aber er hat sich immer als Sozialdemokrat gefühlt.
Kritisch in Erinnerung ist zweierlei: Seine Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung, die er mit Auschwitz begründete. Und seine spät gestandene Mitgliedschaft in der Waffen-SS.
Er war nicht gegen die Wiedervereinigung, sondern nur gegen die Art, in der sie gemacht wurde.
Aber er hat gesagt, als Buße für Auschwitz solle man davon besser die Finger lassen.
Gut, da war die Mehrheit der Deutschen anderer Meinung. Und das späte Bekenntnis, Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein, hat ihn selbst am meisten gequält, weil das für viele seiner Gegner, die er ja reichlich hatte, natürlich Futter war. Allerdings hat er sich immer auf die Gefahr hin politisch eingemischt, dass Leute das generell nicht mögen. Viele wollen nicht, dass man Kunst mit Politik verbindet. Das ging Heinrich Böll und vielen anderen auch so.
Wurzelte das politische Engagement letztlich in der Erfahrung der eigenen Verführbarkeit?
Wahrscheinlich ja. Er hat die Demokratie als Auftrag und Aufforderung zur Mitarbeit verstanden. Deshalb hat er sich in Wahlkämpfe direkt eingemischt. Wer hätte das sonst getan? Er hatte eine Haltung. Und er war ein Praktiker. Er hat nicht nur schwadroniert. Er war im Getümmel. Da erfährt man manche Blessur. Doch er hat nie resigniert. Das will etwas heißen in einer Zeit, in der wir auf dem Weg zurück in eine Biedermeier-Republik sind. Auch deshalb wird er uns sehr fehlen.
Er sah sich zuletzt dennoch häufig verkannt und missachtet. Mit Recht? Oder war er da zu misanthropisch?
Nein. Ich glaube, wenn man lange genug lebt, werden sich immer Jüngere finden, die meinen, die Alten sollten nun mal abtreten.
Grass war trotz seiner Skepsis gegenüber der Vereinigung stets ein gesamtdeutscher Schriftsteller. Er hielt zu DDR-Zeiten engen Kontakt zu ostdeutschen Literaten wie Christa Wolf.
Richtig. Kaum jemand hat so engen Kontakt zu den ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen gepflegt wie er. Er hat ja auch zeitweise Einreiseverbot gehabt, was andere nicht hinderte, ihn gelegentlich trotzdem zum Kommunisten zu stempeln. Grass war ein unabhängiger Geist. Und er hat Leute weltweit unterstützt, die in Bedrängnis geraten sind. Er war ja auch mal Präsident der Akademie der Künste und ist aus ihr ausgetreten, als diese Salman Rushdie nicht einladen wollte. Später ist er wieder eingetreten. Grass war jemand, der etwas riskierte. Auch zu polnischen Kollegen hatte er engen Kontakt. Ich kenne wenige bekennende Deutsche, die Deutschland so im Ausland vertreten haben wie er. Das ist ein Teil dieser Lebensbilanz.
Grass ist in einer Zeit zu Weltruhm gelangt, in der man auf Bücher monatelang wartete und die nach Erscheinen monatelang diskutiert worden. Wäre so etwas im Online-Zeitalter noch denkbar?
Ich weiß es nicht. Ich sehe das Internet als Erweiterung der Möglichkeiten. Im Übrigen ist Grass‘ letztes Buch ja noch fertig geworden und wird demnächst im Steidl Verlag erscheinen. Er war nicht der fröhliche Rentner. Er hat bis zur letzten Minute gearbeitet und gekämpft.
Das Gespräch führte Markus Decker
