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Klaus Florian Vogt Klaus Florian Vogt: «Sänger sind verletzlich»

13.07.2012, 15:41
Klaus Florian Vogt ist ein Tenor.
Klaus Florian Vogt ist ein Tenor. Laif Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Dringende familiäre Pflichten, heißt es vor unserem Interview im Festspiel-Büro, machen den Tenor, der nach seinem Glanz-Debüt in Bayreuth 2011 erneut die Titelpartie in Wagners "Lohengrin" singt, unabkömmlich. Festspielleiterin Katharina Wagner kommt persönlich und bittet um Geduld. "Auf den Klaus Florian ist hundert Prozent Verlass. Wenn der eine Probe auslässt, ist es was Wichtiges." Fürs Interview ist er am Ende pünktlich zur Stelle. "Tut mir Leid wegen der Probe", sagt er. "Aber das ging nicht anders. Familie hat Vorrang."

Mit Klaus Florian Vogt sprach Joachim Frank.

Herr Vogt, darf ich Ihnen mal tief in die Augen schauen?

Klaus Florian Vogt: Bitte sehr!

Ihre Augen sind grau, nicht blau!

Vogt: Doch, die sind blau. Das steht jedenfalls im Pass.

Okay, dann ist es wenigstens amtlich: groß, schlank, blond - und blauäugig, der Inbegriff eines Heldentenors. Ist Ihr Aussehen für Sie Teil des Gesamtkunstwerks Klaus Florian Vogt?

Vogt: Den Begriff ,Gesamtkunstwerk' finde ich für mich nicht passend. Aber ich glaube schon, es hilft dem Zuschauer, wenn ein Darsteller auf der Bühne auch äußerlich das erfüllt, was er sich unter einer bestimmten Figur vorstellt.

Wo Sie auftreten, werden Sie vom Publikum und der Kritik gefeiert - ob hier in Bayreuth, in München und Köln, an der Mailänder Scala oder an der Met in New York. Der Rummel um Sie erinnert ein wenig an das Bohei um die "drei Tenöre". Ist Ihnen das nicht ein bisschen suspekt?

Vogt: Was Luciano Pavarotti, Placido Domingo und José Carreras gemacht haben, finde ich überhaupt nicht anrüchig. Im Gegenteil: Sie haben mit ihren Klassik-Open-Airs in Fußballstadien ein Massenpublikum erreicht. Toll! Für mich allerdings ist bis jetzt der Live-Auftritt auf der Opernbühne das Allerwichtigste. Superlative wie "Startenor" sind mir da nach wie vor verdächtig. Aber ich weiß auch, was ich alles dafür getan, wie viel ich investiert habe. Es ist ein gutes Gefühl, dass es sich langsam auch gelohnt hat, den ganzen Aufwand auf mich zu nehmen.

Was haben Sie investiert?

Vogt: Zeit, Nerven, Geld. Bis heute gehe ich zu Gesangslehrern, um mich überprüfen zu lassen. Da überlege ich schon mal: Lohnt sich das jetzt, wieder ein paar hundert Euro auszugeben.

Bei Ihren Gagen?

Vogt: Die waren früher auch mal anders als heute. Damals bedeuteten solche Unterrichtsstunden für mich vor allem enorme Kosten. Und der Aufwand ist ja nicht nur ein finanzieller. Die guten Lehrer wohnten nicht gerade um die Ecke, oft musste ich mich ins Flugzeug setzen und hinfliegen.

Was in Ihrem Fall wörtlich zu nehmen ist: Sie haben seit 20 Jahren einen Pilotenschein. Sind Sie eigentlich auch nach Bayreuth mit der eigenen Maschine gekommen?

Vogt: Ja, In knapp zwei Stunden bin ich von Schleswig-Holstein aus da. Es hat mich immer gereizt, ganz schnell von einem Punkt an einen anderen zu kommen. In 25 Minuten irgendwo zu sein, wohin ich sonst drei oder vier Stunden bräuchte - toll!

Das klingt jetzt sehr pragmatisch. Was fasziniert Sie am Fliegen?

Vogt: Mir geht es wie jedem Kind: der Traum vom Fliegen! Ich wollte das immer können und habe mir diesen Traum erfüllt, sobald es irgendwie ging. Gott sei Dank - denn mit der Zeit werden die eigenen Ausreden immer lauter, die Hürden immer höher. Das Besondere an der Fliegerei ist für mich auch: Ich muss mich in einem eigentlich sehr professionellen Umfeld bewegen, sehr präzise, sehr kontrolliert. Wenn ich zum Beispiel über Hamburg fliege, werde ich automatisch Teil des Linienverkehrs. Da kommt es auf jede Kleinigkeit an. So was reizt mich.

Der kontrollierte Kick?

Vogt: Kick? Ach, ich weiß nicht. Vielleicht eher ein kalkuliertes Risiko. Abenteuer ohne Tollkühnheit und Draufgängertum. Es ist einfach ein unglaubliches Freiheitsgefühl, mit 300 Sachen dahinzuballern - unter mir die Wolken, der Himmel über mir. Das macht unbeschreiblich Spaß.

Haben Sie eine Lieblingsroute?

Vogt: Bei uns zu Hause über die nord- und ostfriesischen Inseln zu fliegen, das ist wunderschön. Wenn das Wattenmeer trockengefallen ist und die Sonne untergeht, entstehen Farbenspiele, die sind sagenhaft.

Herr Vogt, mögen Sie Wagner?

Vogt: Sehr!

In Ihrer Paraderolle als Lohengrin singen Sie: "Doch großer König, lass mich dir weissagen / dir Reinem ist ein großer Sieg verlieh'n. / Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen / des Ostens Horden siegreich nimmer zieh'n." Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie solche deutschtümelnd-nationalistischen Texte singen?

Vogt: Ich gehe mit den Texten situativ am, vom Stück her. Dann fallen mir auch solche Texte nicht schwer.

Sie haben Bayreuth einmal als angenehm uneitel bezeichnet. Gibt es etwas Eitleres als die Festspiele mit ihrem ganzen Chichi?

Vogt: Empfinden Sie das tatsächlich so? Also, ich erlebe ein sehr kollegiales Miteinander - von den Solisten über die Chorsänger, die Musiker bis zu den Bühnenarbeitern. Alle ziehen an einem Strang, alle machen mit.

Das ist Ihre Backstage-Perspektive. Ich dachte mehr an die Promis, das Schaulaufen der Robenträgerinnen, von Angela Merkel über Fürstin Gloria bis zu Veronica Ferres.

Vogt: Das stimmt. Aber auch dieser Kontrast hat für mich einen eigenen Reiz. Hinter der Bühne geht es eigentlich sehr bodenständig zu. Und trotzdem entsteht diese einzigartige Aura. Seltsam eigentlich.

Luciano Pavarotti hat mal gesagt: Eine Stimme ist wie eine Wurst. In jedem Auftritt schneidet der Sänger eine Scheibe ab, und irgendwann ist die Wurst weg.

Vogt: (lacht laut auf) Daran glaube ich nicht. Das hieße ja, ständig etwas von der Substanz zu nehmen. So ist es aber nicht.

Wie ist es denn?

Vogt: Eher wie bei einem Sportler: Der hat seine Substanz. Für den Erhalt muss er sehr viel tun, sicher. Aber mit gutem Training geht das, ja, er kann seine Fähigkeiten sogar noch ausbauen und weiterentwickeln, um dann im Wettkampf volle Leistung zu bringen.

Ich möchte auch möglichst weit kommen. Ich bin stimmlich auf einem Weg. Bis jetzt merke ich nicht, dass ich an einem Endpunkt angekommen wäre. Mit Pavarotti gesagt: Ich schneide noch nichts ab von der Wurst. Ich stecke noch was in die Pelle rein.

In Berichten über junge, hoffnungsvolle Sänger liest man sehr oft die Sorge, ihre Stimmen würden durch zu schwere Partien kaputt gemacht.

Vogt: Diese Klage kenne ich auch. Aber das Passiv ist doch verräterisch: kaputt gemacht werden. Es ist der Sänger, der ja oder nein zu einem Rollenangebot sagt. Schwimmen muss man immer selber und darf nicht anderen oder "den Umständen" die Schuld geben, wenn man untergeht. Ich will eine Partie zum Beispiel erst dann singen, wenn ich das Gefühl habe, jetzt kann ich das so, wie ich mir das vorstelle. Und nicht den ganzen Abend in Notwehr.

Notwehr? Wie meinen Sie das?

Vogt: Na ja, stellen Sie sich vor: Sie stehen auf einem Konzertpodium, und hinter Ihnen dröhnt das Orchester volles Rohr. Oder Sie geraten während der Aufführung an physische Grenzen, wissen aber ganz genau: Ich muss jetzt noch zwei Akte durchstehen, ich muss irgendwie noch die Kurve kriegen. Am Ende krabbeln Sie nur noch über die Ziellinie. Das darf nicht zu oft passieren.

Stimmt es, dass Sie Kritiken nicht lesen, sondern von Ihrem Agenten oder Ihrer Frau lesen lassen?

Vogt: Ja. Weil ich Worte von mir weghalten will, die ich nicht nachvollziehen kann oder die im Widerspruch zu meinem eigenen Urteil stehen.

Eine Schauspieler-Kollegin hat neulich mal gesagt: Nach Premieren ist man wund. Das stimmt. Es stehen einem alle Haare zu Berge, und man ist einfach wahnsinnig verletzlich. Da reicht manchmal ein einziges Adjektiv, und schon fängt das Grübeln und Bohren an: Was soll das jetzt heißen? War das jetzt so oder so? Habe ich da vielleicht dies oder jenes nicht…? Ich bin ungeheuer selbstkritisch. Ich merke einfach, dass es mir besser geht, wenn ich die Kritiken nicht lese.

Dauernd diese Wagner-Rollen zu spielen, diese Strahlemänner - verändert das den Sänger?

Vogt: Im normalen Leben muss man das von sich weghalten. Aber wenn ich auf die Bühne gehe, dann will ich diese Figur sein. Ganz und gar. Deshalb mache ich das auch so gern.

Ihre jüngste Recital-CD heißt so schlicht wie affirmativ "Helden". Sie betonen aber gern die Verletzlichkeit Ihrer Helden. Ist Ihnen der Begriff doch nicht so ganz geheuer?

Vogt: Um ein Held zu sein, ein richtiger Held, muss immer die Möglichkeit des Scheiterns mitschwingen.

Dann sind Sie ein Held. Sie sagen, Sie wüssten nie, wie so ein Opernabend endet.

Vogt: Das stimmt. Trotzdem würde ich mich niemals als "Held" bezeichnen. Wenn in Fukushima Arbeiter in das zerstörte Kernkraftwerk gehen, obwohl sie genau wissen, dass sie verstrahlt werden. Das ist für mich heldenhaft. Sie tun das, weil es getan werden muss.

Was hören Sie privat für Musik? Sie haben sich ja einmal als großer "Genesis"-Fan geoutet.

Vogt: Ja, ich mag den Leadsänger ganz gern. Den…

… Peter Gabriel?

Vogt: Nein, den anderen, späteren.

Phil Collins.

Vogt: Genau, den find ich gut.

"Follow You, Follow Me" oder "In the Air Tonight" - bald in einer Cover-Version mit Klaus Florian Vogt?

Vogt: (lacht wieder laut) Das glaube ich zwar nicht. Aber vorstellen könnte ich es mir. Noch besser irgendwas im Bigband-Stil. Auf den Sound stehe ich.

Frank Sinatra.

Vogt: Zum Beispiel. Mir gefällt auch, was Roger Cicero macht, nicht zuletzt die Texte. Beim meisten, was sonst so läuft in der U-Musik, sind mir die Texte zu simpel. Zu viele Wiederholungen. 50 Mal dasselbe, das ist doch doof. Oder Songs, die mit fünf Tönen auskommen.

"Rock-Classics" mit Peter Hofmann gibt's auf CD für 7,85 Euro. Kennen Sie die Aufnahmen?

Vogt: Nicht bewusst.

"The House of the Rising Sun" - mit Zwerchfellstütze und Stentorstimme. Eine gruselige Jugenderinnerung. Können Sie überhaupt noch anders singen als mit Ihrer klassisch gebildeten Stimme?

Vogt: Sicher. Glauben Sie etwa, ich sänge ein Gutenachtlied für unseren Jüngsten wie eine Arie? Nein, da singe ich einfach, normal halt. Aber das ist ja immer mein Ausgangspunkt: ganz normal, ganz natürlich.