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Kastelruther Spatzen Kastelruther Spatzen: Ein Edelweiß-Tattoo über dem Herzen

Von Andreas Hillger 10.08.2003, 15:18

Gräfenhainichen/MZ. - Das Gefieder des gewöhnlichen Sperlings mag von eher schmucklosem Graubraun sein, in Südtirol aber ist eine weitaus farbenprächtigere Spezies heimisch: Die weiße Brust der nesttreuen Zugvögel wird von scharf geschnittenem Schwarz flankiert, das in einen roten Rücken übergeht. Das dunkle Beinkleid wiederum zeigt unterhalb der Knie zwei helle Flecken - die Kastelruther Spatzen sind wahre Prachtexemplare, die sich auch dank des Gesangs mühelos von ihren Artgenossen unterscheiden lassen.

Am Wochenende nun landete das Volksmusik-Septett vor einer Kulisse, die auf Sänger Norbert Rier und seine gestandenen Mannen als apokalyptischer Gegenentwurf zur heilen Heimat wirken musste. Vor den Bagger-Skeletten in Ferropolis, wo Berg-Romantik früher in Abraum-Tonnen verrechnet wurde, kauerte ihre Bühne im Schatten. Doch als pünktlich zum Konzertbeginn der Sonnenuntergang mit den roten Scheinwerfern konkurrierte, waren die Naturburschen im Industriemuseum angekommen: "Jedes Abendrot ist ein Gebet".

Mehr als 2000 Zuhörer hatten an diesem Abend den Weg durch Staub und Hitze gewagt, um sich von der ungebrochen optimistischen Weltsicht ihrer Idole zu überzeugen. Und sie wurden nicht enttäuscht. Einfache Wahrheiten in eingängigen Melodien, ein Enzian als Lesezeichen in der Familienbibel - das sind die Waffen, mit denen die Spatzen gegen all die Adler und Geier der Gegenwart antreten.

Selbstverständlich ist hier noch alles "live gesungen und live gespielt", wie Rier unter dem Beifall der Fans versichert. Und natürlich brauchen solche erdverbundenen Musikanten keine gigantische Show - ein paar Dolomiten-Gipfel auf schwarzem Stoff und ein künstliches Firmament unter einer Spiegelkugel reichen völlig. Selbst die Wurzelholz-Gitarren wirken handgemacht - und Rüdiger, der Schlagzeuger, soll wegen seiner Morgenmuffligkeit im früheren Leben gar ein Siebenschläfer gewesen sein.

Nun aber ist er ein Spatz und erzählt mit seinen Freunden von der großen Wirkung des kleinen Wörtchens "Verzeih!", von der Glorie der Gebirge und den Nöten an ihrem Fuße. Die nämlich mögen vom Gipfel, wo laut Rier der Berg aufhört, kleiner erscheinen. Doch in Balladen wie "Schatten über'm Rosenhof" oder "Atlantis der Berge" scheinen sie auf, ehe das "Spatzen-Fieber" wieder steigt und sich "daheim in Kastelruth" auf die Zeile "so richtig wirklich gut" reimt.

Süß und süffig ist das wie die Weißwein-Schorle, die man sich in der Pause nach hartem Kampf sichern konnte. Als dann noch der Mond über dem Baggersee aufgeht, gibt es auf den sorgsam ausgerichteten Stuhlreihen kein Halten mehr: In hellen Scharen drängt man an die Rampe, so dass sich ein Security-Wächter nur noch mit beherztem Sprung auf den Bühnenrand retten kann. In diesem Moment glaubt man sogar das Versprechen, dass das Siegeszeichen nichts anderes als ein Edelweiß-Tattoo sein kann.

Warum die - neben ihren Regensburger Dom-Kollegen - erfolgreichsten Spatzen der Musikgeschichte als Zugabe Verdis Gefangenenchor wählen, bleibt zwar ihr Geheimnis. Am anderen Ende der Arena aber schwenkt eine ältere Frau begeistert ein Flämmchen, das bei genauerem Hinsehen aus einem elektrischen Gasanzünder kommt. Eigener Herd ist eben Goldes wert.