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Karussell  Karussell : Alte Zeiten neue Lieder

Von Steffen Könau 16.04.2016, 16:59

Halle (Saale) - Bernd Dünnebeil aus Halle versetzte mit seiner Gitarre ganze Säle nach Hawaii. Peter Gläser, der Überlebende des Renft-Verbotes, sang „Wer die Rose ehrt“. Und Reinhard Huth, den alle nur „Oschek“ nennen, ging die großen Menschheitsthemen an.

„Das einzige Leben“ hieß ein Album der Leipziger Gruppe Karussell, das die Eintönigkeit des Lebens im späten Sozialismus so poetisch und pathetisch beklagte, dass den staatlichen Kulturüberwachern nicht auffiel, wie grundsätzlich die hier gesungene Kritik war.

„Oh, ein Leben lang/Auf der ausgetretenen Bahn, täglich gleicher Trott und Tran“, sang Reinhard Huth einen Text von Kurt Demmler, „alles fertig, alles klar, was noch sein wird, alles wahr.“ Am Ende übernahm eine Blaskapelle die Melodie und die Band Karussell war zum ersten Mal wirklich aus dem Schatten der Gruppe Renft getreten, von der sie nach deren Verbot mit Cäsar Gläser und Schlagzeuger Jochen Hohl zwei Mitglieder übernommen hatte.

Angeführt von Gründer Wolf-Rüdiger Raschke schien das Sextett zeitweise berufen, in die Gruppe der DDR-Spitzenbands um die Puhdys, City und Karat vorzustoßen. Doch dann begann sich bei Karussell das Personalkarussell zu drehen. Mitglieder wie Cäsar Gläser gingen. Mit Lutz Salzwedel von der Naumburger Gruppe Passion kam ein neuer Sänger, der wenig später bei einem Gastspiel zusammen mit dem gerade erst neueingestellten Gitarristen im Westen blieb.

Bewegte Jahre, die die neue Karussell-DVD „Ehrlich will ich bleiben“ in 24 Originalaufnahmen aus den Anfangsjahren bis zu den letzten Live-Auftritten der wiedergeborenen Kapelle Revue passieren lässt. Am Anfang sind hier die langen Haare und weiten Schlaghosen.

Claus Winter, der vor zehn Jahren unbemerkt von der Öffentlichkeit verstorbene Kult-Bassist, zupft stoisch an seinen Saiten. Wolf-Rüdiger Raschke, heute kurzhaarig, trägt ein Hippie-Stirnband und eine Jeansweste. Zeiten, die nie wiederkommen. Diejenigen, die dabeigewesen sind, aber auch niemals vergessen werden.

Der Neubeginn

Nach einem 1994 erfolglos untergegangenem Album namens „Sonnenfeuer“ hatte Raschke senior seine Kapelle eigentlich für immer aufgelöst. Ein wenig enttäuscht wohl auch, dass die Fans plötzlich nur noch Westmusik hören wollten.

Alles vorbei, zu Ende? Nein. Mehr als zwei Stunden lang führt Joe Raschke, Sohn von Gründer und Keyboarder Wolf-Rüdiger Raschke, durch die Bandgeschichte, die 2007 neu begann. Damals hatte er, der Schlagzeuger und Gitarrist, seinen Vater bekniet, es noch einmal anzugehen. Zufällig rief mit Reinhard Huth in derselben Nacht einer der alten Weggefährten an, nostalgisch gestimmt, weil er sich die alten Platten gerade angehört hatte.

„Ohren und Herzen sind wieder offen für unsere Songs“, glaubte Oschek, der 1976 zur Gründungsbesetzung gehört hatte. Zu dem Quartett stieß mit Jan Kirsten noch der Bassist der erfolgreichen Formation von Ende der 80er Jahre, als mit Sänger Dirk Michaelis der Mega-Hit „Als ich fortging“ gelang. Mit dem Gitarristen Hans Graf und Trommler Benno Jähnert fand Wolf-Rüdiger Raschke, immer schon ein Mann mit Näschen, zudem zwei Musiker, die ideal zu Karussell 2.0 passen.

Die Band ist nicht mehr dieselbe, aber das war ausgerechnet sie ja sowieso noch nie. Wie keine andere Ostrock-Band existierte Karussell im steten Wandel. Mit Peter Gläser noch eine blueslastige Rockgruppe mit Vorliebe für ausufernde Balladen, wurde sie mit Lutz Salzwedel, der nach seiner Flucht als Dan Lucas in den USA eine Countrykarriere hinlegte, zur Popband, die gewollt frische Hits wie „Bambule“ spielte.

Als Dirk Michaelis dann kam, von Raschke in einer Berliner Kneipe entdeckt, entwickelte sich ein dritter Karussell-Stil, der neben dem legendären „Als ich fortging“ auch Stücke wie „Schattenkreuze“ und „Die Männer ganz oben“ hervorbrachte. Heute dreht sich das Karussell wieder, mit alten Hits wie „Wer die Rose ehrt“ und - seit dem Album „Loslassen“ - auch wieder mit neuen Songs wie „Rettet unsere Nacht“. (mz)