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175. Geburtstag von Karl May Karl May erfand Winnetou und Old Shatterhand: Sachse im Wilden Westen

Von Kai Agthe 25.02.2017, 12:00
So sah sich der sächsische Schriftsteller selbst am liebsten: Karl May spielt Old Shatterhand.
So sah sich der sächsische Schriftsteller selbst am liebsten: Karl May spielt Old Shatterhand. imago/teutopress

Halle (Saale) - Wenn jemand, der in der DDR sozialisiert wurde, statt Karl May die Bücher von Jules Verne las, lag das daran, dass May-Literatur im Arbeiter- und Bauernstaat lange Zeit nicht zu haben war. Dass der Autor in der DDR eine Unperson gewesen ist, wurde bis Ende der 70er Jahre dahingehend erklärt, dass „er seine jugendlichen, unkritischen Leser in vielfacher Hinsicht antihumanistisch beeinflusst und ihnen ein völlig verzerrtes Bild der Welt malt“.

Nun ja, bekanntlich neigen Jugendliche dazu, sich ihr eigenes Bild von der Welt zu malen. Da war aber die Zensur vor, die es in der DDR nicht gab, die aber dennoch existierte. Erst 1982 erschien der Roman „Winnetou 1“, dem zahllose weitere Titel folgten.

Und auch im Weihnachtsprogramm besagten Jahres zeigte das DDR-Fernsehen erstmals die nicht mehr taufrischen westdeutschen May-Verfilmungen mit Pierre Brice und Lex Barker aus den 60ern.

Karl May: Romane von Winnetou und Old Shatterhand waren im Nationalsozialimus beliebt, in der DDR lange geächtet

Richtig ist der Hinweis, dass die Werke Karl Mays – wie auch die des in der DDR ebenfalls geächteten Philosophen Friedrich Nietzsche – in jener Diktatur Konjunktur hatten, die der des Proletariats vorausging: Im Nationalsozialismus im Allgemeinen und bei Adolf Hitler im Besonderen war May beliebt.

„Sein Leben lang griff Hitler immer wieder gerne zu Karl May, dessen Abenteuer, wie er selbst sagte, ihm in angespannten Situationen Trost spendeten“, schrieb der englische Autor Timothy W. Ryback in einer Studie über Hitlers Privatbibliothek.

Nur wenige Tage vor seinem Tod am 30. März 1912 hielt sich May in Wien auf, wo er einen Vortrag mit dem pathetischen Titel „Empor ins Reich der Edelmenschen!“ hielt. Wie einige Biografen mutmaßen, könnte auch der Karl-May-Fan Hitler, der damals als arbeitsloser Kunstmaler in der Donau-Metropole lebte, unter den Zuhörern gewesen sein.

Karl May, Erfinder von Winnetou und Old Shatterhand, hatte mindestens zehn Pseudonyme

Wie auch immer May als Vortragender war, als Autor war er eine Schreibmaschine. Neben den Büchern, die unter seinem bürgerlichen Namen erschienen, hat der Sachse auch so manches Werk, vor allem Kolportageromane, unter Pseudonym veröffentlicht.

Mindestens zehn Decknamen sind bekannt, darunter so klangvolle wie Capitain Ramon Diaz de la Escosura, Prinz Muhamel Lautréaumont und P. van der Löwen. Einmal in Gang gekommen, nahm der Erfolgszug namens Karl May schnell Fahrt auf.

Um ihn am Laufen zu halten, wurde im Juli 1913, mehr als ein Jahr nach dem Tod des Schriftstellers, der – ab 1915 so benannte – Karl-May-Verlag gegründet.

Bis 1959 hatte der seinen Sitz im sächsischen Radebeul, wo der Autor einst die „Villa Shatterhand“ und die „Villa Bärenfett“ bewohnte. Aufgrund der oben erwähnten politischen Anfeindungen, die May und sein literarisches Werk sowie dessen Nachlassverwalter in der DDR erfuhren, übersiedelte der Verlag nach Bamberg.

Karl May: Biografie von Erich Loest beschreibt als Roman das Leben des Winnetou- und Old-Shatterhand-Erfinders

Erich Loest hat Mays Biografie als das beschrieben, was sie ist: ein Roman. „Swallow, mein wackerer Mustang“ heißt das Buch, das 1980 sowohl in Ost- als auch Westdeutschland erschien. Seine frühen Jahre hätte May, als er um 1900 eine literarische Berühmtheit war, gern ungeschehen gemacht.

Vom Lehrerseminar Waldenburg wurde er wegen der Unterschlagung von sechs Kerzen relegiert. Eine sechswöchige Haftstrafe musste er absitzen, nachdem er eine geborgte Taschenuhr nicht an den Besitzer zurückgegeben hatte.

Seine Lehrerlaufbahn war damit zu Ende, so dass sich May in der Folge mit Betrügereien über Wasser hielt, was ihn von 1870 bis 1874 ins Zuchthaus Waldheim brachte.

Derart geläutert, kehrte er ins heimische Ernstthal zurück und widmete sich dem Schreiben, seit 1878 als freier Schriftsteller. Das gelang zunächst mehr schlecht als recht. Doch auch als sich in den 1890er Jahre literarischer Erfolg einstellte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, mehr aus sich zu machen als er war.

Schon 1875 begann er einen Doktortitel zu führen, obwohl er nie eine Universität von innen gesehen hatte. Und der Erfolg seiner Wildwest-Romane sorgte dafür, dass er behauptete, selbst Old Shatterhand zu sein, alle beschriebenen Abenteuer auch erlebt zu haben, 1 200 Sprachen und Dialekte zu beherrschen und als Nachfolger Winnetous Häuptling der Apachen zu sein.

Zum Beweis dienten etwa die Gewehre seiner Figuren, die er von einem Büchsenmacher anfertigen ließ: Winnetous „Silberbüchse“ sowie Old Shatterhands „Bärentöter“ samt „Henrystutzen“. Man kann es drehen und wenden wie man will: Dieser Karl May war zeitlebens ein notorischer Schwindler.

„Old Lügenbold“ nannte ihn anlässlich seines 100. Todestages im Jahr 2012 der „Spiegel“. „Ein Lügner im Dienst einer höheren Wahrheit“ zu sein, attestierte ihm bei gleicher Gelegenheit „Die Welt“. Und das „Handelsblatt“ stellte ebenfalls 2012 fest, May sei „der meistgelesene Lügner der Nation“.

Karl May, der geistige Vater von Winnetou und Old Shatterhand, wird doch noch Häuptling

Immerhin in einem Punkt sollte May recht behalten: In der sehr freien „Winnetou“-Neuverfilmung, die im vergangenen Jahr im Weihnachtsprogramm von RTL zu sehen war, wird der von Wotan Wilke Möhring gespielte Karl May nach seiner Auswanderung in die USA von seinen indianischen Freunden nicht nur mit dem Ehrennamen Old Shatterhand belohnt, sondern nach dem gewaltsamen Tod seines Freundes Winnetou zum ersten weißen Häuptling der Apachen.

Hätte das Karl May vor dem Fernseher in der „Villa Shatterhand“ in Radebeul noch erleben dürfen, er hätte sich eine Träne der Rührung nicht verdrücken können: Nach mehr als 100 Jahren hat er also doch noch Winnetous Häuptlingsschmuck aufsetzen dürfen.

Dass Old Shatterhand und Winnetou im Abspann des dritten RTL-Films in den Sonnenuntergang ziehen, obwohl der Apachen-Anführer da bereits in den Ewigen Jagdgründen weilt, hätte Karl May freilich nicht gestört. Denn er wusste: Seine Helden reiten ewig. (mz)