"Karicartoon" in Leipzig "Karicartoon" in Leipzig: Blitzlichtgewitter an satirischen Einsichten

leipzig/MZ - Die achte Biennale „Karicartoon - Alle8ung“ ist eine bunt gewürfelte Schau satirischer Zeichnungen im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig. Sie zeigt nicht nur Satiren der letzten 50, zumeist westdeutschen Jahre, sondern gibt einen fundamentalen Einblick in die menschliche Psyche. Nicht das Grübeln, nicht die Schwermut, sondern das Lachen ist der Freund kraftvollen Nachdenkens.
Wer nachdenkt über unsere Weltengeschicke muss betroffen dreinschauen. Sonst ist es wohl nicht ganz ernst gemeint, nicht weit her mit dem Tiefsinn. Die Ausstellung „Karicartoon - Alle8ung“ räumt unter der Regie von Kurator Andreas J. Müller mit diesem Missverständnis auf. In über 300 Arbeiten von 46 Zeichnern der jüngeren Gegenwart wird der satirische Blick auf die Welt glorifiziert. Es wird gezeigt, dass und wie der Vater Wirklichkeit und die Mutter Kritik eine schlagkräftige Familie mit Söhnchen Denk und Schwesterchen Lach gründen können. So ist es heute, so war es schon immer.
So anfänglich paradox es klingen mag, aber mitten in den Weltkriegszeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland eine literarische Hochzeit der Komödie. Brecht kommentierte den Befund in seinem Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ so: „Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist. Klug, wer besorgt, und dumm, wer sorglos ist! Doch ist nicht überm Berg, wer nicht mehr lacht. Drum haben wir ein komisches Spiel gemacht.“
Die achte Karicartoon des vereinten Deutschlands zeigt, dass auch heutige Zeiten dem Verfahren der Satire eindrucksvoll in die Karten spielen. Dabei entwirft der Kurator Andreas J. Müller ein breites Spektrum. Kreuz und quer geht es durch Politik und privaten Allzumenschlichkeiten. Das ist Schwäche und Stärke zugleich. So kann sich jeder seinen Lieblingsspottgegenstand der letzten 50 Jahre aussuchen. Da lässt Gerhard Haderer mit „Nach der Finanzkrise: Die Party geht weiter“ (2009) zwei feiste Anzugträger lachen und sich mit 500 Euro-Scheinen die Zigarre anzünden („Die Regierung macht jetzt Ernst! Um Himmels Willen – Das ist unser Ende!“). Klaus Stuttmann zeigt mit „Bücher sind out“ (2012), dass vertraute Gewohnheiten trotzt medialer Runderneuerung nicht einfach verschwinden, im Bücherschrank stapeln sich die E-Books und i-Pads. Lothar Otto glaubt mit „3 600 Freunde“ (2013) herzlich wenig an die virtuellen Kontakte. Der Sargträger ächzt unter einer riesigen Totenlade. Der Verstorbene hatte tausende Facebook-Freunde, nur keiner steht am Grab. Garniert wird das Ganze von einer Völkerschlacht-Themeninsel von Werner Rollow und 80 Porträt-Zeichnungen von Harald Kretzschmar.
In diesen Karikaturen wird der Leipziger Prominenz quer die Jahrzehnte der wesentliche Charakterzug abgerungen. Nach der Ausstellung werden diese Werke in den Bürgerbesitz der Stadt Leipzig übergehen. Der Schau gelingt ein Blitzgewitter an satirischen Einsichten, das formale und inhaltliche Auswahlkriterium der ausgestellten Werke wird dabei erschlagen. Egal, die Übel in der Realität kann und muss sie eh nicht entmachten. Das Potpourri weiß zu erheitern.
Bis 11. August: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Di-So und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr