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Kabarett Kabarett: «Mann mit der Pauke» war auch umstritten

27.11.2003, 09:58
Der Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Neuss. Der politisch engagierte «Mann mit der Pauke» wurde am 3. Dezember 1923 in Breslau geboren und ist am 5. Mai 1989 in Berlin gestorben. (Foto: dpa)
Der Kabarettist und Schauspieler Wolfgang Neuss. Der politisch engagierte «Mann mit der Pauke» wurde am 3. Dezember 1923 in Breslau geboren und ist am 5. Mai 1989 in Berlin gestorben. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - Wolfgang Neuss war wohl einer der größten Kabarett-Glücksfälle der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aber der «Mann mit der Pauke» war auch heftig umstritten und von manchen als «Wirrkopf», «Schandschnauze», «kaputter Keller-Guru», «Volksaufwiegler» und gar als «Verräter» beschimpft, als er 1962 vorzeitig Dieter Borsche als Mörder in einer populären Fernsehkrimiserie nach Francis Durbridge («Das Halstuch») öffentlich outete. «Halb Deutschland saß auf der Couch und war beleidigt», hätte Tucholsky dazu gesagt. Am Mittwoch (3. Dezember) wäre der 1989 gestorbene Kabarettist 80 Jahre alt geworden.

Sein Grab liegt zusammen mit dem seines langjährigen Film- und Bühnenpartners Wolfgang Müller, die beide in den 50er Jahren ein unzertrennliches und populäres Komikerpärchen waren (zum Beispiel im «Wirtshaus im Spessart»), auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof in Berlin, nicht weit vom Grab Willy Brandts. Neuss trommelte im Wahlkampf auch für die SPD, bis die ihn wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg rauswarf. «Wer nicht haargenau wie die CDU denkt, fliegt aus der SPD raus», war die Bonmot-Antwort des Kabarettisten.

Und in seinem berühmten Kellerdomizil am Lützowplatz, wo er allabendlich «Das Jüngste Gerücht» als «Neuss Deutschland» verbreitete, sinnierte Neuss in den 60er Jahren: «Ich bin eine 100 Jahre alte Fee und gebäre mich täglich neu. Der Name? SPD. Heute habe ich Taktik, früher Charakter...»

Und nicht nur in diesem Fall mag mancher über die Aktualität von Kabarett-Spitzen nachdenken. Neuss hatte sie haufenweise parat und gab ja auch die Devise aus «Heute mache ich mir kein Abendbrot, heute mache ich mir Gedanken, wäre ja mal eine Alternative.»

Zum Beispiel über die Deutschen und die Wiederverinigung: «Wir Deutschen sind doch eigentlich intelligent, ehrlich und wiedervereinigungsgläubig. Natürlich treffen diese drei Eigenschaften nie alle auf einmal zu. Entweder wir sind intelligent und ehrlich, dann sind wir nicht wiedervereinigungsgläubig. Oder wir sind intelligent und wiedervereinigungsgläubig, dann sind wir nicht ehrlich. Oder wir sind ehrlich und wiedervereinigungsgläubig, dann sind wir nicht....Aber wer möchte schon dämlich sein?» Aber Neuss, der wenige Monate vor dem Fall der Mauer in Berlin starb, prophezeite auch, wie das mit der Wiedervereinigung kommen wird: «Eines Tages steht se vor der Tür und du bist vielleicht gar nicht zu Hause!»

Aber auch die Vergangenheit, die so manchen in der Nachkriegszeit und bis heute immer wieder einholte, hat der einstige «Pimpf» und Hitlerjunge im Visier gehabt, wie zum Beispiel in seinem berühmten Film «Wir Kellerkinder» (mit Jo Herbst und Wolfgang Gruner von den «Stachelschweinen»). Ende der 60er Jahre schloss sich Neuss den rebellierenden Studenten und ihrer «Außerparlamentarischen Opposition» an und zog sich danach als «Drogen-Guru» zurück, auch wenn er sich hin und wieder noch mal kurz in der Öffentlichkeit zu Wort meldete. Aber seine Zeit war abgelaufen.

Neuss starb am 5. Mai 1989 in Berlin. Sein langjähriger Freund und Weggefährte, der Kabarett-Historiker Volker Kühn, hat seine Gesammelten Werke herausgegeben und jetzt auch eine Doppel-CD veröffentlicht («Neuss Total», Bear Family Records). Die Ufa-Fabrik in Berlin-Tempelhof ehrt Neuss an seinem Geburtstag am 3. Dezember mit einem «Stammtischabend» im Wolfgang-Neuss-Salon.