Johann Wilhelm Ludwig Gleim Johann Wilhelm Ludwig Gleim: «Ein harmonischer Gesang war mein Lebenslauf»
Halle/MZ. - Für solche Anfänge sind meist Anekdoten zur Hand: Die Studenten Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Johann Peter Uz begegnen einander in der Rengerschen Buchhandlung unter dem alten Rathaus von Halle. Der eine sucht nach "einem Werkchen von der Beredsamkeit", der andere kann es zur Verfügung stellen. Der Kontakt ist geknüpft, gemeinsame Interessen ergeben sich wie von selbst. Man schreibt das Jahr 1739.
Zu dieser Zeit ist Halle nicht gerade eine Heimstatt der heiteren Geselligkeit. "Der Ort unseres Aufenthaltes hat das Unglück, daß die schönen Wissenschaften fast ganz hindangesetzt werden." - berichten Freimaurer Anfang 1738 dem Leipziger Literaturpapst Johann Christoph Gottsched - "Die Beredsamkeit liegt ganz und gar darnieder." Da gilt es, Abhilfe zu schaffen. Die beiden finden Mitstreiter und gründen die Zweite Hallesche Dichterschule, die der vorwiegend religiös ausgeprägten Poetologie ihrer Vorgänger ein Geselligkeitsideal gegenüberstellt, das auf Heiterkeit und sinnlichen Genuss zielt.
"Wasser, weg von meinem Tische, Du gehörest für die Fische, Nicht für mich" - bringt Gleim die Sache auf den Punkt. Bestanden hat die Vereinigung nur kurze Zeit. Dennoch zeitigte sie Wirkungen, die die deutsche Lyrik bis in unsere Zeit prägen sollte. Die dichterischen Anfänge Lessings, Goethes, Bürgers und Schillers sind ohne ihre Anregungen nicht denkbar. Der 1719 in Ermsleben geborene Gleim geht nach seinem Studium den Weg, den viele bürgerliche Intellektuelle in jener Zeit beschritten: Er wird Hauslehrer, dann Sekretär in einem adligen Haus, nimmt als solcher sogar am Zweiten Schlesischen Krieg teil. Schließlich findet er, seltenes Glück, eine ordentlich bezahlte Stelle am Halberstädter Domstift. Diese lässt ihm Zeit, sich dichterisch zu betätigen.
So entstehen Versuche, die Ballade im deutschen Sprachraum sesshaft zu machen. Kurzzeitig Furore machen Gleims "Preußische Kriegslieder", denen sogar Lessing Anerkennung zollte. Letztlich aber war es seine Bevorzugung der "Hüttchen"-Poesie ("Ich hab ein kleines Hüttchen nur, / Steht fest auf einer Wiesenflur"), die den Dichter bald in Vergessenheit geraten ließ. Nicht aber den unermüdlich an einer deutschen Literaturgesellschaft schmiedenden Organisator.
Von Halberstadt aus betrieb Gleim ein weit verzweigtes Korrespondenznetz, in das über 500 Briefpartner einbezogen waren. Sein "Freundschaftstempel" mit nahezu 150 Porträts bedeutender Zeitgenossen, seine Bibliothek mit über 11000 Bänden sowie seine Handschriftensammlung stellen wesentliche Quellen für Forschungen zum 18. Jahrhundert dar. Auch als Mäzen junger Dichter ist Gleim aus der deutschen Kulturgeschichte nicht wegzudenken. Anna Louisa Karsch, Johann Georg Jacobi, Gottfried August Bürger, Wilhelm Heinse, Johann Heinrich Voß, Johann Gottfried Seume und Jean Paul zählten zu den Schützlingen.
Nicht alles, was Gleim plante, fand eine Realisierung. Etwa die mit Jacobi betriebene Gründung einer Akademie, deren Ziel es sein sollte, bedeutenden Verstorbenen Denkmäler zu errichten. Oder aber die Etablierung einer Halberstädter Dichterschule sowie einer Vorstudienanstalt, an der begabte junge Halberstädter auf ein Universitätsstudium vorbereitet werden sollten. Nach der Jahrhundertwende erblindete der Dichter. Sein Leben und das nahende Ende beschrieb er in dem Gedicht "Der Greis": Da ist von "Scherz und Rebensaft" die Rede, die nicht mehr erquickend wirken, aber auch von der Gewißheit: "Ein harmonischer Gesang / War mein Lebenslauf!" Am Dienstag, vor 200 Jahren, entschlief er sanft.