Geheimtrip in den Osten Joan Baez pfiff auch beim geheimen Besuch der DDR auf Autoritäten

Halle (Saale) - Als es an der Tür klingelt an diesem 1. Mai 1966, weiß der Lyriker und Liedermacher Wolf Biermann schon, was nun folgen wird. Draußen vor der Tür in der Berliner Chausseestraße 131 steht eine zartgliedrige, langhaarige Frau, 1,66 Meter groß, dunkle Augen, ein Lächeln im Gesicht, das Biermann bisher nur vom Cover des „Time Magazine“ kennt.
Aber das unscheinbare Mädchen in seinem Treppenhaus, das ist sie wirklich, die US-amerikanische Folksängerin Joan Baez, 25 Jahre alt und Mitte der 60er Jahre berühmt wie sonst nur ihr Teilzeit-Partner Bob Dylan, die Beatles und Elvis. Der Westberliner Kabarettist Wolfgang Neuss hatte Baez auf das Schicksal seines Freundes Biermann hingewiesen, dem die DDR Monate zuvor Auftrittsverbot erteilt hatte.
Joan Baez verschwindet durch die Hintertür, um Wolf Biermann zu besuchen
Baez, in die DDR gekommen, um im Kabarett „Distel“ vor handverlesenen 200 Funktionären und laufenden Fernsehkameras ein Konzert zu geben, wurde neugierig. Sie überzeugte ihre Bewacher, dass sie vor ihrem Auftritt einige Stunden ruhen müsse. Und schlich sich durch die Hintertür, um diesen Biermann zu besuchen, von dem sie sagen, er sei für die DDR so etwas wie ihr Freund Dylan für den Rest der Welt.
Die DDR-Behörden hatten eigentlich alles getan, um den Besuch aus dem fortschrittlichen Amerika reibungslos über die Propagandabühne zu bekommen. Die Stasi war in Alarmbereitschaft. „Der Auftrag ist besonders gewissenhaft und konspirativ durchzuführen“, heißt es in einem vorsorglich erlassenen Fahndungsbefehl, mit dem die Überwachung der Sängerin begründet wird.
Die nun bei Biermann sitzt, dem Staatsfeind Nummer 1, mit ihm Gitarre spielt, singt und philosophiert und am Ende so begeistert ist, dass sie den 29-Jährigen auffordert, sie zu ihrem Konzert zu begleiten. Eine Karte hat sie ihm schon mitgebracht - die Einlasser am Konzertsaal sind so verblüfft, dass es nur noch ein kurze Erklärung von Joan Baez braucht, Biermann wirklich in die Halle bringen: Sie werde nur auftreten, wenn Biermann dabei sei.
Gegen den Vietnamkrieg, gegen Rassismus, für die Verbesserung der Welt
Typische Baez-Konsequenz, auf die die Tochter eines Methodistenpredigers ihre gesamte Karriere gebaut hat. Schon mit 16 singt sie professionell und erfolgreich, mit 20 ist sie ein Star, die „singende Venus aus Amerika“, die Frau, die Bob Dylan entdeckt und die Bürgerrechtlerin, die bei keinem Protestmarsch fehlt.
Bei Joan Baez, mittlere von drei Schwestern und aufgewachsen unter anderem in Paris, Rom und Bagdad, ist das immer tief empfunden und bitterernst gemeint. Aus dem schüchternen Kind, das sich wegen ihres mexikanischen Erbteils oft diskriminiert fühlt, wird mit dem Tag, an dem Joan ihre erste Ukulele geschenkt bekommt, ein immer selbstbewussterer Mensch, der mit Mitte 20 entschiedene Ansichten vertritt. Joan Baez ist Friedensaktivistin, links, aber kritisch gegenüber dem Sowjetsozialismus.
Sie ist gegen den Vietnamkrieg, gegen Rassismus und auch dagegen, dass ihr Freund Bob Dylan sich entscheidet, den Kampf für eine Verbesserung der Welt mit Hilfe der Gitarre einzustellen. Sie sieht das anders, sie hört Biermann die „Preußische Romanze“ singen und ist sich sicher, dass Kunst politisch sein muss. „Ich widme diesen Song Mr. Biermann“, sagt sie am Abend mitten im Konzert, das der verfemte Sänger in der letzten Reihe miterlebt. Dann spielt sie „Oh, Freedom“ („Freiheit“) und weiß , dass dieses Konzert im DDR-Fernsehen nie gesendet werden wird.
Die Stasi tröstet sich. Baez habe „Biermann“ wie „Bärmann“ ausgesprochen, dadurch sei die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand verstanden habe, um wen es ging. Die revolutionäre Wachsamkeit lässt vielleicht dadurch etwas nach, denn die Stasi kommt erneut zu spät, als Joan Baez am folgenden Tag wieder in die DDR einreist. Trotz Fahndungsbefehl gelingt es der Sängerin, in Biermanns vor dem Bahnhof wartenden VW einzusteigen. Wieder machen beide zusammen Musik, wieder reden sie lange über Gott und die Welt. Es ist der Anfang einer lebenslangen Freundschaft, die dazu führt, dass Baez ihren Freund Dylan jahrelang mit Schallplatten ihres ostdeutschen Freundes nerven wird. Siebzehn Jahre nach der geheimen Berliner Begegnung der New Yorkerin mit dem Enkel der Hallenserin Oma Meume stehen Baez und Biermann dann auch zusammen auf der Bühne: Bei einem - natürlich - Friedenskonzert in Biermanns Heimatstadt Hamburg.
Jens Rosteck: Joan Baez, Osburg-Verlag, 357 Seiten, 24 Euro
Joan Baez live am 28. Juli auf der Peißnitzinsel in Halle,
Tickets unter: www.mawi-concert.de