1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Joachim Ringelnatz: Joachim Ringelnatz: Sächsisches Wurzen entdeckt Dichter wieder

Joachim Ringelnatz Joachim Ringelnatz: Sächsisches Wurzen entdeckt Dichter wieder

Von Tobias D. Höhn 16.05.2003, 19:52

Wurzen/dpa. - «Er wurde lange Zeit unterschätzt - auch von uns», sagt die Leiterin des Kulturgeschichtlichen Museums Wurzen, Angelika Wilhelm. Dabei müsse er in einem Atemzug mit Kurt Tucholsky und Erich Kästner genannt werden. Zwar habe die Stadt die weltweite größte Ringelnatz- Sammlung, doch jenseits des Freistaates wisse kaum einer, wo die Wiege des Dichters stand.

Das soll sich spätestens ändern, wenn das zweistöckige Vaterhaus zu einer Mischung aus Museum, Szene-Restaurant und Kleinkunstbühne umgebaut ist. Mit der Aussicht auf Dom, Schloss und Stadtkirche soll die Postanschrift Am Crostigall 14 zu einer angesagten Kulturadresse werden. «Wir wollen auch zeitgenössische Künstler einladen, die sich mit Ringelnatz kritisch auseinander setzen», sagt der Vorsitzende der Standortinitiative Wurzen, Ulrich Heß.

Durch die starke Identifizierung mit dem Dichter hofft die Kleinstadt auch auf einen Tourismusschub. «Wir liegen zwischen Leipzig und Dresden. Da muss man aufpassen, im Kulturleben nicht zermahlen zu werden», sagt Heß. Ringelnatz als Dichter, Maler und Schriftsteller sei daher eine Chance, um auch überregional zu punkten - obwohl er nur die ersten vier Jahre an der Mulde verbracht hatte.

Umso emsiger haben die Wurzener die Relikte über Ringelnatz alias Hans Bötticher zusammengetragen. Von der Geburtsurkunde über Manuskripte bis zum gut erhaltenen Seesack ist das Leben und Schaffen des Künstlers dokumentiert. Verse über seine Wurzeln bleiben allerdings die Ausnahme: «Wenn man den sächsischen Dialekt/ Ein bisschen dehnt und ein bisschen streckt/ Und spricht ihn noch ein bisschen tran'ger/, Dann hält einen jeder für einen Spanier!»

Die Paraderolle des kleinen, etwas kurzsichtigen Mannes war die des Leichtmatrosen «Kuttel Daddeldu». Branntwein, leichte Mädchen und die doppelte Moral der damaligen Zeit bestimmten seine meist frivolen Lieder. «Genau das war lange Zeit das Problem. Anfang der 90er Jahre haben viele Ringelnatz als netten Säufer belächelt», sagt Heß. Mittlerweile jedoch stünde der Großteil der Wurzener hinter Ringelnatz, der einst in Kabarettkreisen umjubelt wurde, bevor das Nazi-Regime ihn verfolgte.

Seine Bilder wurden verbrannt, seine Bücher verboten und im April 1933 wurde das Auftreten des Schriftstellers «zum Schutze von Volk und Staat» gänzlich untersagt. Im November 1934 starb er völlig mittellos und fern der sächsischen Heimat in Berlin.