1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Jan Vetter-Marciniak: Jan Vetter-Marciniak: Subversiver Spaß mit liebem Staat und schlechtem Sex

Jan Vetter-Marciniak Jan Vetter-Marciniak: Subversiver Spaß mit liebem Staat und schlechtem Sex

Von Steffen Könau 26.10.2001, 15:49

Halle/MZ. - Passt auch besser. Denn Urlaub, der eigentlichJan Vetter-Marciniak heißt und Sänger derBerliner Rockband Die Ärzte ist, war nie einverbissener Punk-Ideologe. Wie seine KollegenBela B. Felsenheimer und Rodrigo Gonzalespflegte der 1,93-Meter-Mann stets ein selbstironischesImage. Doppelbödig die Botschaften, eigensinnigder Humor. Die "beste Band der Welt" schafftein Stücken wie "Männer sind Schweine" und"Schrei nach Liebe" den Spagat zwischen Dadaund Tamtam, zwischen Hitparade und Hintersinn.

Was die Gruppe Ende der 80er in die Kriseführte, "weil die Welt wohl noch nicht soweit war" (Bela B.), stieß ihnen nach demComeback Mitte der 90er Jahre die Tür zu unerwartetenRegionen auf. Die Ärzte, ehedem Rock-Underground,landeten plötzlich serienweise Nummer 1-Hits,spielten endlose Tourneen und sammelten GoldeneSchallplatten im Dutzend. So hätte es weitergehenkönnen. "Ich bin ja recht ehrgeizlos", sagtVetter über sich selbst. Statt wie Bela B.immerzu im Studio zu stehen und nebenbei auchandere Projekte zu verfolgen, frönt der 37-Jährigeeinem einzigen Hobby: Urlaub.

Trotzdem ist sein vor fünf Jahren angekündigtesSoloalbum "Endlich Urlaub" schließlich irgendwiefertig geworden. Und nicht nur das: Die 16Stücke,die Jan Vetter eingespielt hat, weisen ihnnun sogar als einzig wahren Oberarzt aus.Vom Opener "Jeden Tag Sonntag" bis zum "Abschiedslied"klingt und schwingt alles im typischen Ärzte-Sound.Rhythmisch pendelnd zwischen fröhlichem Vorwärts-Pop,holprigem Reggae und blumiger Ethno-Balladeersetzt der Multi-Instrumentalist, der keinFleisch isst, keine Drogen nimmt, nie Alkoholtrinkt und nie fernsieht, lässig seine ganzeBand. Kleine, genau beobachtete Alltags-Szenenund Mitsing-Melodien kombiniert er zu Popsongsmit großen Momenten.

"Unsere Tage waren dunkel / unsere Hemdenwaren schwarz", singt Vetter mit Extra-Pathosim Timbre, "wir standen ständig auf dem Schulhofin der Ecke und wir tauschten tief enttäuschteBlicke aus." Ja, so war das, damals, als dieJugend noch The Smiths und The Cure hörte,echte Tränen weinte und keine wilde Diskonachtdie Angst vor der Atom-Bombe so ganz verschwindenlassen konnte.

Farin Urlaub, der die Ärzte vor knapp 20Jahrengründete, ist ein Kind der 80er, das bis heutedie Ramones und den Science-Fiction-AutorDouglas Adams ("Trampen durch die Galaxis")verehrt. Wenn er von Liebe singt wie in "1000Jahre schlechter Sex", ist der Gestus spöttisch,bei Politik wie in "Lieber Staat", pflegter bizarre Übertreibung. Von hinten hauchtes "Leitkultur", vorn tönt es heftig: "LieberStaat, ich bin so schrecklich stolz auf Dich /ich tätowier mir Deine Flagge ins Gesicht."

Der große Blonde ist allerdings ein fröhlicherPropagandist, ein kleiner Trompeter ohne Verbissenheit.Sein "Endlich Urlaub" ist, abgesehen vom plattenTitel, Subversion mit System. Selten zuvorwar Pop hierzulande politischer, selten warunter Rock so viel diffuse Tiefe.