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Italien Italien: Vor 100 Jahren wurde Luchino Visconti geboren

Von Peer Meinert 01.11.2006, 08:23
Der italienische Regisseur Luchino Visconti während einer Pressekonferenz (Archivfoto vom 28.02.1972). (Foto: dpa)
Der italienische Regisseur Luchino Visconti während einer Pressekonferenz (Archivfoto vom 28.02.1972). (Foto: dpa) dpa

Rom/dpa. - Das warAnfang der 70er Jahre, er hatte gerade den «Tod in Venedig» nachThomas Mann gedreht, einer seiner schönsten, einer seiner intimstenFilme überhaupt. Er habe eine Schwäche für «einsame Seelen und vonder Wirklichkeit erschlagene Schicksale». So offen äußerte sichVisconti sonst nur selten, es war seine letzte Schaffensperiode,längst war er zur Legende geworden. Am 2. November vor 100 Jahrenwurde Luchino Visconti in Mailand geboren - ein Aristokrat derFilmkunst, einer der ganz Großen des Kinos.

Dabei hat es das Schicksal mit ihm selbst gut gemeint: Geboren alsSpross einer der ältesten und bekanntesten Familien des italienischenHochadels, kannte er zeitlebens weder Not noch Geldsorgen. DieFamilie besaß ein Palais in Mailand, ein Schloss in Piacenza, eineVilla am Comer See - und natürlich gehörte in einer solchen Familieenger Kontakt mit den schönen Künsten dazu. «Ich bin mit demBühnengeruch in der Nase auf die Welt gekommen», berichtet er - keinZufall also, dass Visconti später Theaterstücke und Operninszenierte, in London, in München und an der Mailänder Scala, sogar«La Traviata» für Maria Callas.

Auch für seinen vielleicht bekanntesten Film erwies sich seinearistokratische Herkunft als Vorteil: 1963 drehte er «Der Leopard»,die Verfilmung des Romans von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, einenopulenten Kostümfilm und ein melancholisches Gesellschafts- undLiebesdrama mit Burt Lancaster, Claudia Cardinale und dem jungenAlain Delon, der mit dem Streifen seinen Durchbruch schaffte.

Visconti, so schrieben Kritiker damals, wusste genau, worüber erdreht: Die Geschichte über den Niedergang einer sizilianischenAdelsfamilie war ihm sozusagen auf den Leib geschrieben. Noch heutegelten Roman und Film als die italienische Geschichte schlechthin,noch bekannter ist der tausendfach zitierte Schlüsselsatz: «Allesmuss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.»

Erste Kontakte mit dem Film knüpfte Visconti in den 30er Jahren,er lebte damals in Paris, wurde Assistent von Jean Renoir und ließsich in der Weltstadt den Wind um die Ohren wehen. «Damals gingen mirwirklich die Augen auf. Ich kam aus einem faschistischen Land, wo maneinfach nichts erfahren, nichts lesen, nichts wissen, nochpersönliche Erfahrungen haben konnte», erzählte Visconti imRückblick. Unter anderem lernte der junge Mann in Paris etwas ganzWichtiges für sein Leben: den freien und selbstbewussten Umgang mitseiner Homosexualität.

1947 drehte er «Die Erde bebt», ein Drama über eine sizilianischeFischerfamilie, in dem sich die Einwohner eines kleinen Fischerdorfesselbst spielen. «Ich habe Stunden damit verbracht, meine Fischereinen kleinen Satz einstudieren zu lassen. Ich wollte, dass sie esgenauso gut können wie echte Schauspieler.» Es war die Zeit desitalienischen Neo-Realismus. Höhepunkt der Schaffensperiode war«Rocco und seine Brüder» (1960) über eine süditalienische Familie,die auf Arbeitssuche nach Turin kommt.

Berühmt wurde auch «Weiße Nächte» (1957) mit seinem späterenLebensgefährten Helmut Berger, «Boccaccio '70» (1961) mit RomySchneider und die «Die Verdammten» (1969) - wieder über den Verfalleiner Familie, diesmal über eine deutsche Industriellenfamilie, diesich durch Zusammenarbeit mit den Nazis sanieren will.

Verfall, Niedergang und Dekadenz sind auch die Stichworte einesweiteren, großen Streifens Viscontis, «Ludwig II.» (1972) über denentrückten bayerischen «Märchenkönig». Wieder spielt Helmut Bergerdie Hauptrolle, der König ist psychisch zerrissen und labil, dieAtmosphäre der bayerischen Winterlandschaft erdrückend wie im «Tod inVenedig» - das sind «einsame Seelen», zu denen sich derFilmaristokrat Visconti hingezogen fühlte. Schon damals war Viscontivon Krankheit gezeichnet, am 17. März 1976 starb er.