Interview über Bruno Apitz Interview über Bruno Apitz: Wer war der Autor des Welterfolges "Nackt unter Wölfen"?
Chemnitz/MZ - Mit seinem Roman „Nackt unter Wölfen“ (1958) erlangte der aus Leipzig stammende Schriftsteller Bruno Apitz (1900-1979) weltweit Anerkennung. Zur Zeit wird das Buch neu verfilmt. Der Historiker Lars Förster, Jahrgang 1986, arbeitet an einer Dissertation über Apitz, die das politische Leben des Autors erkundet. Mit Förster sprach Mathias Schulze.
Herr Förster, warum haben Sie Bruno Apitz zum Gegenstand Ihrer Forschung gemacht?
Lars Förster: Weil es bislang keine politische Biografie über ihn gibt. Nach 1990 ist er völlig in Vergessenheit geraten. Ich habe in zehn Archiven in sechs Städten Quellen ausgewertet und mit Zeitzeugen gesprochen. Marlis Apitz, seine Witwe, der Schriftsteller Wolfgang Held und Eberhard Günther, langjähriger Verlagsleiter des Mitteldeutschen Verlages, gehören dazu.
Welche Erkenntnisse fördern Sie zu Tage?
Förster: Da gibt es Freundschaften, Enttäuschungen, Schreibgewohnheiten und die prägende Zeit vor 1945. Aber auch die bislang unbekannten Schattenseiten. So ließ sich Apitz von der Staatssicherheit anwerben, leitete von 1957 bis 1959 Post an das MfS weiter, schrieb zwei Berichte und kehrte dem Geheimdienst bald wieder den Rücken. Die Stasi interessierte sich für die Korrespondenz mit Martin Gustav Schmidt, bekannt unter dem Pseudonym Martin Gregor-Dellin, den Lektor von „Nackt unter Wölfen“ vom Mitteldeutschen Verlag. Schmidt flüchtete später in den Westen.
Apitz’ frühe „Kündigung“ zeigt, dass er von der Stasi nie völlig überzeugt war. Er hatte auch so seit Anfang der 60er Jahre seine Schwierigkeiten mit der SED. Davon ist aber nichts an die Öffentlichkeit gelangt, die Konflikte wurden nach innen ausgefochten. Dies wird aus Zeitzeugengesprächen und aus Unterlagen ersichtlich. Er war kein stromlinienförmiger SED-Unterstützer. Das DDR-System hat er aber nicht in Frage gestellt, bei der Biermann-Ausbürgerung stand er auf Seiten des Staates.
Auf der nächsten Seite geht es unter anderem um die Treue zur DDR und die Neuverfilmung.
Wie kann man sich seine offizielle Treue zur DDR erklären?
Förster: Apitz verdankt den Kommunisten sein Leben, die Erfahrungen im KZ hatten ihn geprägt, teils traumatisiert. Interessant dabei ist, dass er privat zumeist im Scherz darüber redete. Bis in die 50er Jahre hinein war er ein armer Schlucker. Und dann kam „Nackt unter Wölfen“ mit Millionenauflagen. Plötzlich war Apitz ein geschätzter, wohlhabender Typ. In Westdeutschland sah er auch, dass manche ehemalige SS-Offiziere freigesprochen wurden. Er hätte mehr widersprechen können, aber den Erfolg wollte er sich nicht nehmen lassen. Er war auch kein Intellektueller. Mit Anfragen von internationalen Journalisten war er zum Teil überfordert. Apitz war ein Proletarier, so schrieb er, so dachte er. Er hatte das, was man Klassenbewusstsein nennt. Er war ein ideologischer Hardliner – und ein echter Idealist. Und damit selbst in der DDR ein Exot.
Was wurde in der 1958 in der DDR erschienenen Fassung von „Nackt unter Wölfen“ verschwiegen?
Förster: In der erweiterten Neuausgabe vom Aufbau-Verlag (2012) sind alle selbst zensierten oder durch den Verlag gestrichenen Passagen aus den Originalmanuskripten von Apitz wieder hinzugefügt. Die ursprüngliche Fassung war viel konfliktreicher. So wurde ursprünglich in allen Einzelheiten von der prekären Zwangslage erzählt, in der kommunistische Funktionshäftlinge andere Häftlinge an die SS übergeben mussten oder in der sie einem SS-Arzt mit Giftinjektionen assistierten. In der offiziellen DDR-Lesart sollte es aber eine kommunistische Heldengeschichte sein.
Welche Diskussionen kann die Neuverfilmung, die 2015 zu sehen sein soll, bestenfalls stimulieren?
Förster: Zeigt man die spannende Geschichte, den humanen Kern, finden die gestrichenen Passagen im Film ihren Platz, dann ist die Neuverfilmung ein spannendes Projekt. Als ich aber gelesen habe, dass nach Motiven von „Nackt unter Wölfen“ gedreht wird, will ich den Film erst sehen. „Nackt unter Wölfen“ ist die Geschichte des Kindes, die Fokussierung liegt auf dem kommunistischen Widerstand. Und nicht mehr. Ich bin gespannt, ob man bei diesem Schwerpunkt bleibt.
In seiner Heimatstadt Leipzig ist die Gedenktafel in der Elisabethstraße 15 mittlerweile entfernt: ein fatales Zeichen?
Förster: Apitz hat sich zum Kommunismus bekannt. Klar, dass man dann nach 1990 die Gedenktafel entfernte. Dieses Abreißen ist sinnbildlich für die Betrachtung nach dem Ende der DDR. Dabei hat seine Ehrenbürgerschaft, 1975 verliehen, noch Bestand und die Romane „Der Regenbogen“ (1976) und „Schwelbrand“ (1984) beinhalten sehr viele Leipziger Geschichten. Generell plädiere ich für eine differenziertere Sicht. Das ist auch Ziel meiner Arbeit. Freisprechen will ich ihn aber nicht.
Was kann man heute noch von Apitz lernen?
Förster: Wenn sich Menschen zusammenschließen und Solidarität beweisen, dann sind wir rassistischem Unfug nicht wehrlos ausgeliefert.