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Interview Interview: Sting: «Ich will so mutig sein wie früher»

Von Andrej Sokolow 01.12.2003, 10:28

Hamburg/dpa. - Der britische Rockstar Sting hat binnen weniger Wochen ein neues Album und eine Autobiografie veröffentlicht. Mit der Deutschen Presse-Agentur Sprach der ehemalige Police-Sänger über das Schreiben als Therapie, den Mut zu Veränderungen, seine politischen Ansichten und tantrischen Sex.

Frage: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich Sie ansprechen soll - Sting, Mr. Sting...

Sting: «Herr Sting, bitte.» (lacht)

Frage: Wie spricht denn Ihre Frau Sie an?

Sting: «Herr Sting, natürlich.»

Frage: Also, Herr Sting, Sie haben eine Autobiografie geschrieben, die «Broken Music» (Kaputte Musik) heißt. Der Titel hat doch tiefere Gründe?

Sting: «Ja, das geht aus dem Buch hervor. Zunächst einmal bezeichnete so meine Oma meine ersten musikalischen Versuche auf ihrem Klavier. In dem Buch geht es um meine frühen Jahre. Ich hatte keine einfache Kindheit, und die Musik wurde zu einer heilenden Kraft für mich - und ist es immer noch. Ich denke, der Titel macht Sinn im Kontext des Buches. Ich habe auch nur die Jahre bis zu den Anfängen der Erfolgszeit beschrieben - ich fand es nicht interessant, über das Nachfolgende zu schreiben.»

Frage: Hat die Arbeit an dem Buch Sie verändert?

Sting: «Es war eine Art Therapie. Es gab da neben den schönen, glücklichen Erinnerungen auch schlechte, traurige, die ich am liebsten weiter unterdrückt hätte. Und über diese zu schreiben, war schmerzhaft. Andererseits, nachdem ich mich mit ihnen auseinandergesetzt und sie in einen logischen Kontext eingeordnet habe, geht es mir viel besser - auch wenn ich beim Schreiben in eine Depression gefallen bin. Jetzt bin ich froh, dass es erschienen ist.»

Frage: War es nicht so, dass Sie Zweifel hatten, das Buch zu veröffentlichen?

Sting: «Ja, nachdem das Schreiben seine therapeutische Wirkung getan hatte, habe ich gedacht, vielleicht ist das genug, vielleicht sollte ich das ganze als eine Art private Memoiren betrachten und gar nicht erst der Welt eröffnen. Ich wollte auch nicht unbedingt Menschen ins Rampenlicht bringen, die vorher nicht dort standen, wie meine engsten Familienmitglieder, Freunde, frühere Geliebte. Aber ich habe versucht, jeden von ihnen in dem Buch mit größtmöglichem Respekt zu behandeln, als Dank für ihren Beitrag zu meinem Leben. Und ich habe mit jedem von ihnen gesprochen, ihnen den Text gegeben. Wir hatten lange Gespräche darüber, ob das Buch veröffentlicht werden soll, und alle sind mit einem «Ja» überein gekommen. Und jetzt ist es sowieso draußen, und man kann es nicht mehr stoppen.»

Frage: Sie haben mit «Sacred Love» ein sehr komplexes neues Album aufgenommen. Es hat positive, optimistische, aber auch verstörende, düstere Momente. Man könnte denken, es soll ein Soundtrack zu unserer Zeit sein...

Sting: «Ich hoffe, das ist es. Dieses Album spiegelt meine Gedanken und Gefühle der vergangenen zwei Jahre wider, nach dem 11. September 2001. Alles, was mich an Themen wie Politik, Religion, Sexualität, Musik, Kunst interessiert, ist auf dieser Platte. Ich habe versucht, so viele Ideen in sie zu packen, wie nur möglich. Ich habe das Album aufgenommen, während die Vorbereitungen für den Krieg im Irak liefen. Und dieser Krieg, über den ich sehr besorgt war und immer noch bin, hat dem Album noch eine besondere Dringlichkeit verliehen - vielleicht mehr als meinen anderen Platten. Es ist dieses Gefühl, dass etwas sehr Gefährliches und Wichtiges passiert.»

Frage: Mit anderen Worten, hätte es den 11. September und den Krieg im Irak nicht gegeben, würden wir heute über ein anderes Sting-Album sprechen?

Sting: «Ja, ich ziehe es vor, Alben ohne solche äußeren Einflüsse zu machen. (lächelt) Andererseits, wenn man ehrlich an seine Arbeit herangeht, muss man auch bis zu einem bestimmten Maß darauf eingehen, was um einen herum passiert, besonders, wenn man so wie ich politisch interessiert ist. Ich schreibe Songs über Liebe, ich habe schon immer Songs über Liebe geschrieben. Aber ich glaube, dass sie in der heutigen Zeit eine größere Tragweite brauchen, mit der Welt da draußen verknüpft sein müssen.»

Frage: Sind Sie enttäuscht von dem, was Sie heute in der Welt sehen?

Sting: «Ich denke nicht so negativ. Ich glaube, dass jedes Problem, vor dem wir stehen, eine Chance für Veränderungen ist. Wir müssen uns als Menschen weiterentwickeln, weg von der Stufe der Primaten, die sich nur an die Brust schlagen und einander bestehlen. Wir müssen akzeptieren, dass wir alle mittendrin in diesen Problemen stecken, ob du nun Iraker bist oder Moslem oder Amerikaner, Christ, Jude, Deutscher, Engländer - wir sitzen alle in einem Boot. Und wir müssen unsere Probleme gemeinsam lösen. Dass wir getrennt sind, ist nur eine Illusion. Und die wird uns von Politikern aufgezwungen, die ihre Macht aus diesem Zerwürfnis gewinnen. Das sind Politiker, die Angst, Terrorismus und Paranoia exportieren. Ich habe keinen Respekt für sie übrig. Ich bin ihrer überdrüssig. Ihre Zeit läuft ab.»

Frage: Als Sie anfingen, sich für die Rettung des Regenwaldes und andere wohltätige Zwecke zu engagieren, hatten Sie da die Erwartung, alles würde viel schneller gehen?

Sting: «Oh, ich wollte eigentlich eher bremsen: Der Regenwald brennt und verschwindet immer noch unglaublich schnell, machen wir uns nichts vor. Wir haben eine Reihe von Projekten gemacht, die auch geholfen haben. Aber wir haben das Ganze nicht gestoppt. Die Menschen sind eher geneigt, tausende Hektar Wald für einen Dollar jetzt zu verbrennen, als hunderte von Arten oder Bäume für die Zukunft zu retten. Sie wollen den Dollar verdienen oder billige Hamburger oder Soja-Bohnen... Sie denken kurzfristig. Das haben wir nicht ändern können. Aber immerhin haben wir es in den vergangenen 14 Jahren geschafft, eine gewisse Infrastruktur für die betroffenen Menschen, die dort leben, zu schaffen, um sie vor Konzernen und Regierungen zu schützen. Wir haben etwas geholfen, aber das Problem nicht gelöst.»

Frage: Was ist noch eine Herausforderung für einen erfolgreichen Mann wie Sting?

Sting: «Den Mut aufrecht zu erhalten, diesen Mut, deinem Instinkt zu folgen, auch gegen die Logik manchmal. Ich habe mein Leben zu einem großen Teil nach meinem Instinkt gelebt. Ich war recht mutig in der Vergangenheit. Aber wenn du älter wirst, bist du da nicht mehr so sicher (lacht). Aber ich will diese Fähigkeit behalten, sagen zu können, stopp, das reicht, jetzt mache ich etwas anderes. Einfach, weil mein Herz es so will, mein Instinkt - selbst wenn der Verstand etwas anderes sagt. Ich will einfach so mutig sein wie früher.»

Frage: Und, klappt es?

Sting: «Ich weiß es nicht. Früher hat es auf jeden Fall ganz gut geklappt - zum Beispiel als ich meinen Lehrerjob aufgegeben habe, der mir ein festes Gehalt und Rente gesichert hätte, um Sänger zu werden. Und dann war ich endlich in dieser erfolgreichen Band, The Police, und die Logik wäre, in der Band zu bleiben, aber mein Instinkt sagte mir: Nein, geh einen anderen Weg, versuche es nochmal. Und dieser Instinkt hat mich hierher gebracht. Ich weiß nicht, was als nächstes kommt, vielleicht mache ich etwas anderes...»

Frage: Und der Instinkt hat Sie dazu gebracht, «Sacred Love» gegen moderne Pop-Trends zu einem recht komplizierten Werk zu machen?

Sting: «Die Aufnahme muss meine Position und meine Gedanken widerspiegeln. Ich hatte in der Vergangenheit das Glück, dass meine Arbeit den allgemeinen Geschmack traf. Ich mache immer die Aufnahmen, die ich machen will. Ich mache keine Kompromisse. Das neue Album scheint bei den Leuten anzukommen, obwohl da komplexe Ideen drin sind. Und musikalische Formen, die nicht unbedingt zur kommerziellen Pop-Musik gehören. Aber - ich habe keine Wahl. Ich bin 52. Ich will nicht so tun, als wäre ich 18 oder dümmer als ich bin, oder dass ich keine Interessen hätte, die über - sagen wir - Mode hinausgehen. Und wenn die Leute mich nicht mehr hören wollen, sage ich: Okay, ich habe genug in meinem Kopf und in meinem Leben, um etwas anderes zu tun.»

Frage: Gab es in den vergangenen Jahren auch nur ein Interview, in dem Sie nicht auf die Sache mit den tantrischen Sex-Praktiken (Tantra: Lehre der indischen Religion) angesprochen wurden?

Sting: «Ja, jeder fragt mich über tantrischen Sex... Das Lustige ist, die Geschichte ist schon seit 12 oder 13 Jahren in der Welt. Aber jeder spricht davon, als hätte ich es gestern gesagt. Ich sehe das sehr locker, aber zugleich steht ja auch durchaus eine ernsthafte Information dahinter. Und dabei geht es um das Niveau der Intimität zwischen Paaren, nicht unbedingt darum, acht Stunden Sex am Stück zu haben. Aber Sie können acht Stunden Intimität genießen, was zu mehr Verständnis führt. Das ist das, worum es bei Tantra wirklich geht. Und Spaß macht es auch...» (lächelt).

Frage: Werden wir je eine Wiedervereinigung von The Police erleben?

Sting: «Nein. Es gibt für mich keinen Grund dafür. Es wäre komplett gegen meinen Instinkt. Ich bin nicht sentimental, ich habe keine Nostalgie. Ich bin stolz auf die Band, die wir waren. Ich denke, wir haben eine Menge geschafft, aber es ist Vergangenheit. Und ich muss nicht die Vergangenheit wieder aufleben lassen - höchstens in einem Buch.»