Interview mit Wladimir Kaminer Interview mit Wladimir Kaminer: "Die Fische gucken komisch"
Berlin/MZ - „Russendisko“ war gestern, heute wird gepflanzt, gemäht, geerntet. Bestsellerautor Wladimir Kaminer, 1967 in Moskau geboren, legt ein neues Buch vor: „Diesseits von Eden. Neues aus dem Garten“, das vom Leben der Kaminers in der brandenburgischen Provinz erzählt. Mit Wladimir Kaminier sprach Elisabeth Grün.
Herr Kaminer, Ihren ersten Versuch mit dem Paradies, einem Berliner Schrebergarten, mussten Sie wegen Meinungsverschiedenheiten zur „Spontanvegetation“ aufgeben. Ihr neues Paradies ist ein kleines Dorf im Norden Berlins: „Glücklitz“ bei Seebeck – schön erfundener Name!
Wladimir Kaminer: Meine Frau war dagegen, dass ich den wirklichen Namen des Ortes nenne, weil sie meinte, da kommen haufenweise Journalisten – und die will man im Garten bei sich nicht unbedingt haben.
Schweinemastgroßbetrieb, Kraniche, ein See, eine verfallene Ziegelei - Glücklitz wirkt wie eine Chiffre für ein brandenburgisches Nest!
Kaminer: Es ist nichts ausgedacht, meine Nachbarn Matthias und Heiner können alles bestätigen. Hier trifft die neue Landlust der großstädtischen Bevölkerung auf die späte Lust der ländlichen Bevölkerung, ein bisschen kapitalistisch zu werden. Über meinen Glücklitzer Nachbarn wird inzwischen unser halbes Haus in Berlin mit Eiern beliefert! Und der Angelschein wird immer teurer. Als ich in Glücklitz ankam, kostete er fünf, nun zwölf Euro pro Tag. Dabei schmecken diese Süßwasserfische gar nicht, haben viel zu viele Gräten und gucken komisch. Die sind wie die mürrischen Brandenburger. Aber wenn man sie anfasst, sind sie eigentlich ganz weich (lacht).
Apropos Fische: Warum sind die eine Art Leitmotiv in Ihrem Buch?
Kaminer: Wenn man ein Haus am See hat, muss man angeln gehen! Aber weil ich vermutlich der einzige im Dorf bin, der noch keinen Fisch gefangen hat, und das Angeln daraus besteht, so still wie möglich an stillem Wasser zu sitzen und der Stille zu lauschen, habe ich angefangen, mir Gedanken zu machen, was diese Fische über uns denken. Plötzlich merkte ich, dass sich Fische und Menschen in einer ähnlichen Lage befinden.
Zum Beispiel Lachse sind auf der Suche nach ihrem Kindheitsparadies und werden so geködert. Wie die Menschen.
Kaminer: Ja, jeder Lebensentwurf des Menschen ist eine Suche nach dem verlorenen Paradies.
Sie erzählen viele Bibelgeschichten neu, so die von Kain und Abel.
Kaminer: Das ist ein Konflikt zwischen einem Landwirt und einem Hirten: Der Hirte verändert nichts an der Welt. Der Landwirt aber hat eine eigene Vorstellung von einer viel besseren Welt. Er weiß, dass 99 Prozent der Schöpfung absolut überflüssig und zu nichts nutze sind: Man braucht Felder statt Wälder, statt Berge flache, quadratische Flächen, statt Flüsse Kanäle! Aber irgendwie will die Natur den Landwirt nicht haben. Er ist nicht offen für diese Welt, nicht anpassungsfähig. Das funktioniert auf lange Sicht nicht, weil es nur auf Ausbeutung hinausläuft.
Langfristig können allein offene Gesellschaften überleben, die bereit sind, mit den anderen Arten zu kommunizieren, zu verschmelzen. Nicht jenseits - nur diesseits von Eden hat der Mensch eine Überlebenschance!
Was ist das Gute am Landleben?
Kaminer: Um die Welt draußen zu verstehen, braucht man Reflexion, Distanz, Einzelheiten. Das dörfliche Leben ist ein wunderbarer Weg einer Reduktion seiner selbst. Nach einer Weile fängt man an, der Stille zu lauschen, der Sprache des Schöpfers, der durch die Fische, die Vögel, den Wind zu uns spricht…
Naja, sind das nicht neoromantische Klischees eines Städters, so wie Ihr Bild der leeren Dorfmitte, von der aus den Dorfbewohnern Energie zuströmt?
Kaminer: Warum Klischees? Das leere Feld ist keine Metapher, das gibt’s wirklich! Mit einer Russendisko auf dem Land haben wir die zweite Auflage der Glücklitzer Dorfchronik finanziert, aus der ich verstand, dass die ganze Weltgeschichte seit vor der Eiszeit eine Spur in Glücklitz hinterlassen hat. Nun fragt man sich: Wo ist die hingegangen? Da ist nichts, nur dieses große leere Feld in der Dorfmitte. So habe ich mir versucht zu erklären, was übrig bleibt, nachdem alles vorüber ist: Wir leben in einer unbeständigen Welt, Menschen sterben, alles zerfällt zu Staub. Was bleibt, sind nur Geschichten, die Menschen hinterlassen, damit die nach uns Kommenden staunen und Lust haben, das weiterzuerzählen.
Der TV-Sender Arte strahlt in Kürze Filme aus, in denen Sie durch berühmte Gartenanlagen führen. Sind Sie nun Gartenexperte?
Kaminer: Nein. Ich beobachte sehr gern, und ich glaube, das ist das einzige, was Menschen richtig gut können: die Welt reflektieren. Alles andere können andere Lebewesen besser. Menschen werden nie so schnell laufen wie Strauße oder schwimmen wie Lachse; aber sie können sich selbst aus der Entfernung sehen, das ist die Aufgabe, zu der sie geschaffen wurden.
Im Fernsehen: „Diesseits von Eden“ im TV: Am 1. September um 16 Uhr führt Wladimir Kaminer im Arte-Programm durch das Gartenreich Dessau-Wörlitz.