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Interview mit Hans Nieswandt Interview mit Hans Nieswandt: "Die erste Bewerbung meines Lebens"

06.06.2014, 12:55
Ein Meister seines Fachs: DJ Hans Nieswandt.
Ein Meister seines Fachs: DJ Hans Nieswandt. Peter Rakoczy Lizenz

Herr Nieswandt, seit Anfang des Jahres sind Sie künstlerischer Leiter des Instituts für Populäre Musik an der Folkwang Universität. Wie sind Sie an den Job gekommen?

Hans Nieswandt: Ich wusste schon im vergangenen Jahr, dass etwas in diese Richtung geplant war. Bei einem Treffen im Medienhaus Bochum wurde das Projekt präsentiert, und ich habe dies und das dazu gesagt. Einige Zeit später sah ich die Stellenausschreibung, die ich an alle möglichen Leute weitergeleitet habe. Mich selbst habe ich da völlig rausgenommen.

Warum?

Nieswandt: Das Anforderungsprofil war sehr umfangreich. Gesucht wurde ein Mensch, der seit Jahrzehnten in institutionellen Strukturen organisiert und gleichzeitig eine richtig vielfältige Karriere hat. Das haut nicht hin – man macht das eine, oder man macht das andere. Außerdem habe ich mich zunächst nicht beworben, weil ich bestimmte Bedingungen formal nicht erfülle. Was ich vorzuweisen habe, ist ein abgebrochenes Amerikanistik-Studium. 

Wie kam es, dass Sie sich doch beworben haben?

Nieswandt: Kurz vor Fristende sagte meine Freundin zu mir: Hans, ich habe den Eindruck, dass es ganz gut wäre, wen du dich da auch bewirbst. Woraufhin ich mit Ende 40 die erste  Bewerbung meines Lebens geschrieben habe. Fünf Tage später saß ich vor einer Berufungskommission, der, neben einigen Folkwang-Leuten, auch Dieter Gorny angehörte. Ich habe frei von der Leber weg geredet. Darüber, was Künstler brauchen, und darüber, wie man Künstlern, die schon ein paar Projekte gemacht haben, hilft, ihren weiteren Weg zu finden. Wenige Tage später bekam ich einen Anruf: „Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie zur Verfügung stehen“.

Als ehemaliger SPEX-Schreiber, als Buchautor, als  renommierter DJ und Weltreisender im Auftrag des Goethe-Instituts taugt man also auch ohne akademischen Abschluss als Vorbild für Studenten.

Nieswandt: Ich denke schon. Nicht zu vergessen natürlich: Zusammen mit Justus Köhncke und Eric D. Clark hatte ich mit Whirlpool Productions in den 90ern einen Nummer-eins-Hit in Italien. „From Disco To Disco“ war im Sommer 1997 ganz oben in der italienischen Hitparade.

Wie fühlen Sie sich mit der ersten Festanstellung Ihres Lebens?

Nieswandt: Ich habe nichts gegen ein regelmäßiges und festes Einkommen, hatte es aber auch nicht angestrebt. Ganz einfach, weil ich auch vorher schon genug zu tun hatte. Als Vollzeit-Angestellter im öffentlichen Dienst mache ich eine ganz neue Erfahrung: Ich kann jetzt nicht Urlaub machen, ich muss es tun. Das war ich Selbständiger bisher nicht gewohnt. Wenn ich als DJ zwei Gigs wegen Krankheit ausfallen lassen musste, war das nicht gut.  

Werden Sie weiterhin im Nachtleben als Schallplattenunterhalter unterwegs sein?

Nieswandt: Ich lege seit über 30 Jahren Platten auf, und ich werde DJ bleiben. Musik zu machen und sie aufzuführen, das gehört sehr zu mir, und das ist auch Teil des Anforderungsprofils in meinem neuen Job. Folkwang legt großen Wert darauf, dass ich meine künstlerische Tätigkeit nicht einstelle. Mit meiner neuen Aufgabe in Bochum merke ich allerdings, dass das Wochenende eine andere Bedeutung bekommt, ich brauche es jetzt zum Regenerieren. Aber einmal pro Woche spielen ist  noch drin.

Studiengänge, die Popmusik zum Inhalt haben, gibt es  einige in Deutschland. Was zeichnet den Studiengang in Bochum aus, was unterscheidet ihn von der Popakademie in Mannheim?

Nieswandt: Einer der Träger in Mannheim ist das Wirtschaftsministerium, bei Folkwang steht das Wissenschaftsministerium dahinter. Das klingt doch schon ganz anders, finde ich. Zukunft im Sinne von: neue Erkenntnisse gewinnen. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Leute bei uns nicht bei Null anfangen. Wer bei uns einen Studienplatz bekommt, hat bereits einen Bachelor und stellt ein Projekt vor, das er betreibt. Und ich möchte die interdisziplinären Möglichkeiten nutzen, die Folkwang bietet.

Das heißt?

Nieswandt: Unsere Erstsemester können Erfahrungen haben als Musiker, Produzenten, DJs, Schauspieler, Grafikdesigner – und sie können Kooperationen eingehen mit Tänzern und Leuten, die Physical Theatre studieren. Ich möchte einen ganzheitlichen Künstlergedanken, idealerweise bilden wir Persönlichkeiten aus und nicht Menschen, die gut funktionieren. Es gibt genügend Orte in diesem Land, an denen Menschen fit gemacht werden für den Markt und an denen die Fähigkeit gefördert wird, sich unterzuordnen und möglichst immer auf den Chef hören.

Wie wollen Sie dagegenhalten?

Nieswandt: Zum Beispiel, indem wir darauf setzen, dass Handwerk zwar die Basis allen Tuns ist. Aber das Handwerk darf auch mal ausfransen, man darf es mal zur Seite kicken und in bestimmten Situationen auch vergessen. Wenn das passiert, tritt der Kunstgedanke hinter dem Pop hervor. Viele großartige Pop-Künstler, die einen akademischen Hintergrund haben, kommen von der Kunsthochschule und eben nicht von der Musikhochschule: David Bowie, Pete Townshend, Roxy Music, Brian Eno. Alles Leute, die mit einer Radikalität gemacht und gedacht haben und es teilweise bis heute tun.

Was bedeutet Pop in Ihrer Definition?

Nieswandt: Pop ist keine Musikrichtung, jedenfalls nicht so, wie Dixieland oder Bossa Nova eine ist. Es gibt Musik, die nennt man Popmusik. Wenn ich als DJ Pop spiele,  meine ich nicht nur House, Soul und Funk, sondern auch weiße Jungs aus Großbritannien wie Franz Ferdinand. Für mich ist Pop eine riesige Kraft, die unsere Gesellschaft durchwirkt, die Welt des Pop ist weit. In westlichen Gesellschaften gibt es seit 1950 nur wenige Menschen, die ohne Pop aufgewachsen sind. Pop kann stumpfer Konsumismus und fieser Trash sein, auch Sexismus kann man Pop an die Backe kleben. In meinen Augen ist es überfällig, Pop im akademischen Sinn ernst zu nehmen. Ich halte Pop für zu wertvoll, als dass sich eine Kunstakademie nicht darum kümmern sollte. 

Für den Anfang fällt das Kümmern sehr übersichtlich aus, in Bochum werden pro Semester acht Studienplätze vergeben.

Nieswandt: Stimmt, acht Plätze sind für die nächsten zwei Jahre durchfinanziert. Wenn die ersten acht Studenten feststehen, werden wir individuelle Lehrpläne erstellen und sehr intensiv betreuen können. In zwei bis drei Jahren gibt es eine Expansionsperspektive. Wenn alles klappt, können wir dann die Anzahl der Studienplätze pro Semester erhöhen. Bei der Eröffnungsveranstaltung werden Diedrich Diederichsen und Erobique alias Carsten Meyer da sein – damit jeder gleich weiß, wie wir die Sache angehen.

Diederichsen ist ein alter SPEX-Kollege von Ihnen und lehrt heute als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Nähert sich die Hochkultur eigentlich Ihrem Tun an oder sind Sie durch ihre jahrzehntelanges Wirken näher am Establishment? 

Nieswandt: Es gibt eine Reihe von Leuten, allen voran Diedrich Diederichsen, die in den letzten 30 Jahren dafür gesorgt haben, dass Pop akademisiert worden ist. Diese Leute, zu denen ich mich auch zähle, kommen aus dem Pop, kommen aus der Praxis, sind journalistisch tätig und haben in Ermangelung einer existierenden wissenschaftlichen Struktur selber eine rund um den Pop-Begriff geschaffen. Jetzt ist die Zeit soweit, dass wir reingeholt werden in den Wissenschaftsbetrieb.

Wer das Studium an der Folkwang Universtät der Künste erfolgreich abschließt, ist „Master of Music“, Sie sind der künstlerische Geschäftsführer des Instituts. Der Titel klingt nicht unbedingt nach Pop.

Nieswandt: Vielleicht sollte ich mich Grandmaster nennen. Grandmaster Hans, das klingt doch gut. Grandmaster ist ein klassischer Titel, wie er im HipHop seit den 70er Jahren vergeben wird.

Das Gespräch führt Martin Weber