Internetsender Internetsender: Radio in Rot und Weiß
Halle (Saale)/MZ. - Es ist nicht mit anzusehen, was die Spieler des Halleschen FC da weit im Norden treiben, das ist nicht zu überhören. Es hagelt enttäuschte Ahhs und Ohhs aus der Sprecherkabine, die ein offener Tribünenplatz ist. Dafür sitzen auch die Zuhörer nicht vor dem Radio, sondern vor iPhones, Computern und Internetradios. Zweite Halbzeit im Spiel Oberneuland gegen HFC. Von Halle über Merseburg bis nach Zeitz, Zürich und Melbourne in Australien macht sich langsam der Gedanke breit, dass es diesmal wohl nichts werden wird mit dem Auswärtspunktgewinn.
Immerhin: Egal ob Triumph oder Pleite, Fans des Regionalligisten Hallescher FC dürfen live dabei sein, wenn ihre Mannschaft siegt oder untergeht. Die Zeiten, als Sympathisanten des Traditionsvereins darauf angewiesen waren, vor lendenlahmen Live-Tickern im Videotext zu bangen und zu hoffen, sind vorbei. Zwar bietet kein großer Radiosender Liveschaltungen aus den Stadien von Kiel, Meuselwitz oder Havelse an. Doch das Internet macht es möglich, trotzdem jede Spielminute live mitzuerleben: Mit einem "Fanradio" genannten Internet-Sender meldet das HFC-Fanprojekt sich an jedem Spieltag aus den Stadien, in denen der Klub von der Saale antritt.
Die Idee, die neuen technischen Möglichkeiten für ein eigenes Radioprojekt zu nutzen, hatte ursprünglich der Verein selbst. Beim in Halle nicht eben beliebten Traditionsgegner Sachsen Leipzig lief ein Fanradio schon einige Zeit mit großem Erfolg - "daraus entstand der Plan, die Macher von dort mit dem Projekt zu betrauen", erinnert sich Steffen Kluge vom HFC-Fanprojekt schmunzelnd. Für echte HFC-Fans natürlich undenkbar. Der Feind auf Sendung auf dem eigenen Platz! "Daraufhin haben wir gesagt, wir machen das selbst."
Unterstützung fand sich beim halleschen Lokalradiosender Corax, der sofort bereit war, bei der Anschaffung der Technik zu beraten und bei der Ausbildung der künftigen Kommentatoren zu helfen. "Ich hatte vorher mit so etwas noch nie zu tun", erinnert sich Christoph Heiduk, mittlerweile einer der Stammsprecher im Radio Rot-Weiß, "aber als ein Freund mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, dachte ich, guckst Dir das mal an." Heiduk, früherer selbst aktiver Fußballer, war nie einer von denen, die nur fürs Fansein leben. In der kleinen Sprechertruppe traf er dann auf echte Ultras, auf Statistikexperten und Fans mit Schal und HFC-Mütze. "Aber wir haben uns ganz schnell zusammengerauft." Komisch sei es gewesen, sich das erste Mal aus den Lautsprechern zu hören. "Wir haben zum üben alte Länderspiele genommen und die selbst kommentiert", erinnert sich Heiduk, "und es hat ganz schön gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte." Einmal in der Woche ließen sich die Neu-Moderatoren von Corax-Profis in Sprechtechnik und Mikrophonarbeit einweisen. Dennoch habe er, sagt Heiduk, bei seinem ersten Live-Spiel-Kommentar riesiges Lampenfieber gehabt. Draußen waren minus 14 Grad, aber für ihn lief eine ganz heiße Sendung. "Ich dachte immer nur, und was ist, wenn Dir nichts mehr einfällt?"
Dann wäre das auch kein Beinbruch. Erstens hat jeder Kommentator beim Fanradio immer einen Kommentatorenpartner, "weil 90 Minuten Monolog viel zu lang wären". Und zweitens sei das Ziel nie gewesen, mit den Profis zu konkurrieren. "Wir wollen Radio machen, dem man Leidenschaft und Lokalkolorit anhört", sagt Christoph Heiduk. Das Mitleiden mit der Mannschaft sei ebenso erlaubt wie die Verwendung hallescher Spezialbegriffe. "Scheeks und Ische dürfen bei uns auch mal vorkommen."
Für die Hörer, regelmäßig bis zu 500, verstreut auf etliche Kontinente, wird das Mitbangen vor Laptop oder iPhone so zum doppelten Vergnügen. Fanradio-Kommentator Aaron liefert jede Menge Statistik, Christoph analysiert Taktik und Aufstellung, der nur "Krümel" genannte Uwe Striesenow verzückt mit freigiebig fließendem Herzblut. Heimatradio aus voller Kehle, angereichert mit Gefühlsausbrüchen: "Möönsch", tönt es dann aus dem fernen Kiel zu den heimischen Empfängern, "den musser doch reinmachen!"
Das ist Live-Berichterstattung aus subjektiver Fansicht, vom DFB lizensiert und - wie am Samstagnachmittag ab 13.30 Uhr beim Spiel gegen Rasenball Leipzig - auch von den Anhängern der gegnerischen Vereine gern genutzt. Manchmal freudig erregt, denn es spart die Fahrt. Manchmal aber auch zähneknirschend. Kommenden Mittwoch etwa, wenn der HFC in Leipzig zum Derby gegen den FC Magdeburg antritt, werden die Anhänger aus der Börde, die es nicht zum Spiel schaffen, notgedrungen Radio in Rot und Weiß hören müssen. Christoph Heiduk wird auf Sendung sein, trotz des wichtigen Spieles inzwischen schon eher gelassen. "Man holt sich sein Käffchen, guckt nochmal, ob die Verbindung ins Netz steht - und dann geht es los."