Humor Humor: Willi Winzig ist der Schelm des Wirtschaftswunders
HALLE/MZ. - So hatten zwei "Leitfossilien" des Humors die Generation Comedy deklassiert - wenngleich man einschränken muss, dass die Umfrage vom ZDF durchgeführt wurde, dessen Zielgruppe bekanntlich etwas älter ist. Aber diese Jahrgänge waren es ja auch, die bei dem heute vor 100 Jahren in Riga geborenen Heinz Erhardt durch die hohe Schule der Heiterkeit gingen. Dass er selbst ein Autodidakt blieb, der den Weg auf die Bühne erst nach einer kaufmännischen Lehre einschlagen konnte und sich folgerichtig als "frühentwickelte Spätausgabe" bezeichnete, ließ ihn zu einer Autorität in der jungen Bundesrepublik werden.
Denn dass man wieder lachen durfte, war nach der Zerschlagung des Nationalsozialismus alles andere als selbstverständlich. Um so dankbarer waren die Hörer des Nordwestdeutschen Rundfunks, als 1946 erstmals die Sendung "So was Dummes" über den Äther ging. Für Heinz Erhardt, der mit seiner Frau und vier Kindern in einer Behelfswohnung in Blankenese wohnte, sollte die wöchentliche Show der zweite Anlauf zu einer Komiker-Karriere werden, die bereits in den 30er Jahren in seiner baltischen Heimat begonnen hatte und während des Zweiten Weltkriegs im Frontkabarett fortgesetzt worden war. Schon bald packte er Requisiten und den als Arznei gegen Lampenfieber unerlässlichen Dornkaat in seinen Mercedes, um auf Tournee zu gehen - ein Jahrzehnt später wurde er "wegen idealer Breitwand-Körpermaße" nach diversen Nebenrollen zum Kino-Star. Als Marmeladenfabrikant in "Der müde Theodor" zeigte Erhardt erstmals einem Millionenpublikum jene Figur, die er sich auf den Leib geschneidert hatte: das weit zurückgewichene Haar streng gescheitelt, eine markante Brille als Rahmen für die flinken Augen - und der Anzug von der Stange ein wenig straff über dem Bauch. Ein Bieder-, ja ein Jedermann, der ebenso gut als Bankangestellter oder Kleinwagenverkäufer durchgehen konnte - und damit ideal in das Reich des anderen Herrn Erhard (ohne t) passte, der zu dieser Zeit Wirtschaftsminister war und später Bundeskanzler werden sollte.
Dieser Willi Winzig, dieses schelmische Wirtschaftswunderkind, sollte Heinz Erhardt fortan bleiben - ob er wollte oder nicht. Bis ein Schlaganfall im Jahr 1971 seine Laufbahn jäh beendete, spielte er mehr als 30 Variationen dieses Themas - und absolvierte zudem ungezählte Auftritte als Rezitator seiner eigenen Verse.
Die sind es, denen Erhardt seinen bleibenden Rang neben Dichtern wie Wilhelm Busch oder Joachim Ringelnatz verdankt - kleine, funkelnde Sentenzen, deren höchste Kunst in ihrer scheinbaren Simplizität liegt: ",Gott hat die Welt aus Nichts gemacht', / so steht es im Brevier, / nun kommt mir manchmal der Verdacht, / er macht sich nichts aus ihr ...". Vier Tage vor seinem Tod, am 1. Juni 1979, wurde Heinz Erhardt das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Welchen Reim er sich darauf gemacht hat, ist nicht überliefert. Aber dass er es sich verdient hatte, ist gewiss.
Zum Jubiläum ist u. a. die Anthologie "Nachdem ich mich hier versammelt habe" bei ear-Book erschienen, die Raritäten in Ton und Bild präsentiert.