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Hugh Laurie Hugh Laurie: «Ich werde ihn immer lieben»

24.06.2012, 15:13
Hugh Laurie wurde durch die Rolle des "Dr. House" berühmt.
Hugh Laurie wurde durch die Rolle des "Dr. House" berühmt. dapd Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Auch im wirklichen Leben klingt seine Stimme so tief und unangenehm-knarzig wie die seiner berühmtesten Kunstfigur: Dr. House. Die Rolle des zynischen amerikanischen Krankenhaus-Arztes in der gleichnamigen TV-Serie hat den britischen Komiker Hugh Laurie (53) weltweit zum Star gemacht. Seit 2004 wurde er dafür mit etlichen Preisen ausgezeichnet. Im Interview spricht Laurie natürlich britisches Englisch. Das erleichtert es, den schlaksigen Mittfünfziger mit dem Stoppelbart im Gespräch gedanklich von seiner Paraderolle zu trennen. In Deutschland sendet RTL im Herbst das Finale von "Dr. House" - die zeitweise die meistgesehene Serie im deutschen Fernsehen war. In den USA ist nach 177 Folgen die letzte Episode bereits gezeigt worden, sodass Hugh Laurie inzwischen Zeit für seine andere große Leidenschaft hat: Musik machen. Über den Jazz und Blues aus New Orleans kann der Schauspieler, der auch als Sänger und Pianist auftritt, ausschweifend fachsimpeln - ohne jeden House'schen Sarkasmus. Jedenfalls fast. "Ich weiß natürlich", kokettiert er, als es um seine Doppelkarriere geht, "dass ich eine wichtige Grundregel verletzt habe, wonach Schauspieler nur schauspielern und Musiker nur Musik machen sollen. Aber das ist mir egal."

Das Gespräch führte Steven Geyer.

Mr. Laurie, Sie sind in der Rolle eines mürrischen Kotzbrockens berühmt geworden. Hat das unangenehme Nebenwirkungen, wenn man Sie beispielsweise mit Ihrer Kunstfigur gleichsetzt?

Laurie: Na ja, manchmal spüre ich bei Journalisten eine gewisse Angst, bevor Sie mir Fragen stellen. Viele Ihrer Kollegen befürchten offenbar, dass jetzt der Zyniker mit der scharfen Zunge, den ich im Fernsehen spiele, auf sie losgeht. Ich habe mir schon überlegt, wie ich das für mich ausnutzen könnte. Es klappt aber leider nie, privat kann ich einfach nicht so fies sein.

Sie spielen den schnoddrigen Amerikaner Dr. House so überzeugend, dass viele Fans lange nicht ahnten, dass Sie in Wahrheit Brite sind.

Laurie: Ja, meine Landsleute wurden schon fast eifersüchtig über diese Art der Vereinnahmung. Aber inzwischen hat sich auch in den Staaten herumgesprochen, dass ich Brite bin.

Was ging Ihnen denn durch den Kopf, als nach sieben Jahren kürzlich die allerletzte Folge von "Dr. House" im US-Fernsehen gezeigt wurde?

Laurie: Ich habe sie mir angesehen, aber nicht live, sondern später in einer Wiederholung. Das war auch gut so: Denn es hat mich emotional überwältigt.

Konnten Sie nicht loslassen?

Laurie: Nein, ich habe mich eher befreit gefühlt. Ich war ein bisschen traurig, natürlich. Aber ich kam mir danach auch irgendwie leichter vor. Auch wenn meine Verbundenheit mit der Figur des Dr. House nie vergehen wird. Ich werde ihn immer lieben und die Welt, in der er lebte.

Fragen Sie sich manchmal, wie es weitergeht nach einer derart prägenden Rolle, die alles andere, was Sie vorher gemacht hatten in den Schatten stellte?

Laurie: Nein. Einige neue Projekte und Ideen schwirren ja schon um mich herum, wenn auch noch nichts Spruchreifes. Und ich möchte mich jetzt erst mal für eine Weile ganz meiner Musik widmen. Ich würde beispielsweise sehr gern mit meiner Band ausgiebig durch die USA touren. Einige Konzerte haben wir schon in meiner Zweitheimat Los Angeles gegeben und in San Francisco, danach touren wir die Westküste entlang, dann nach Südamerika - und im Sommer wieder nach Europa. Darauf freue ich mich riesig; ich denke gern zurück an unsere ersten Shows in Deutschland: In Hamburg waren wir letztes Jahr in einem Club auf der Reeperbahn, ein kleiner Laden mit einer sehr niedrigen Decke - nur zwei Straßenecken entfernt vom Laden, wo einst die Beatles angefangen haben! Das fand ich super. Obwohl, das Gebäude steht gar nicht mehr, glaube ich. In Berlin hatten wir leider kaum Zeit für anständiges Sightseeing. Ich hoffe, dieses Mal lässt mich der Tourmanager etwas von der Leine, damit ich mir zumindest das Olympiastadion ansehen kann.

Warum gerade das Olympiastadion?

Laurie: Familiengeschichte. Mein Vater ist dort 1936 für die britische Mannschaft angetreten, um an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Er war Ruderer, Schlagmann im britischen Achter. Sie wurden Vierte.

Was hat er Ihnen von dieser Zeit erzählt?

Laurie: Nur recht wenig. Ich erfuhr von seiner Ruder-Karriere überhaupt erst als Teenager. Mein Vater arbeitete längst als Mediziner, und aus seiner Sportlerzeit hatte er nichts in unserem Haus ausgestellt. Er hasste jede Art von Großspurigkeit. Ich kam erst darauf, als ich auf dem Dachboden in einer Pappschachtel eine alte Socke fand, mit etwas Schwerem drin: die olympische Goldmedaille von London 1948.

Er hatte Ihnen gegenüber nie erwähnt, wie es war, 1936 unter den Augen Adolf Hitlers ins Stadion einzulaufen?

Laurie: Er wollte nicht viel Aufhebens darum machen. Als wir dann darüber sprachen, hatte er auch nicht viel zu erzählen. 1936 war er gerade mal um die 25 Jahre alt und wusste ja nicht, wo er da hineingeraten war. Niemand in ganz Europa erkannte zu diesem Zeitpunkt die Bedeutung dieser Spiele und wie Hitler sie inszenieren wollte - erst recht nicht dieser junge Sportler. Die größte Sorge meines Vaters war, wie er den Wettbewerb gewinnen könne. Ihm ging es darum, die Medaille zu holen.

Jetzt kommen die Spiele nach 1948 wieder nach London, in Ihre Heimatstadt. Werden Sie als Zuschauer dabei sein?

Laurie: Das hoffe ich doch sehr. Ich sehe mir alles gern an: Leichtathletik, weil sie das größte Spektakel hergibt, aber auch Bogenschießen und Curling. Ich liebe einfach diesen Wettkampfgedanken: zu sehen, wie die Sportler mit dem Druck des Wettbewerbs umgehen finde ich faszinierend. Obwohl, ich habe gehört, es sei unglaublich schwierig, an Tickets zu kommen. Es gibt schon viel Ärger in England deshalb.

Sie selbst waren 1977 britischer Juniorenmeister im Rudern, fingen dann wegen einer Krankheit mit der Schauspielerei an. Dabei war Ihr Traumberuf angeblich Pianist.

Laurie: Ja, ich hatte immer diese Vorstellung: ein schönes Klavier, ein kleines Jazztrio, eine Hotelbar … Als ideale Stadt dafür habe ich mir immer Lissabon vorgestellt. Ich war noch nie dort, aber ich liebe einfach den Klang dieses Namens. Inzwischen haben mir ein paar Leute gesagt, Lissabon sei nicht annähernd so romantisch, wie ich mir das vorstelle. Bleibt noch der Traum, an einem wunderschönen Flügel zu sitzen, ein Glas mit edlem Whiskey steht auf den Tasten mit den ganz hohen Tönen, die ich selten benutze, und in meiner linken Hand habe ich eine angezündete Zigarre, weil ich die tiefen Tasten auch nicht viel benutze. Ich wäre so glücklich wie ich nur sein könnte.

Was würden Sie spielen?

Laurie: Ich würde wahrscheinlich Wünsche der Zuschauer erfüllen. Auf Zuruf. Wenn Sie einen Musikwunsch haben, würde ich mein Bestes versuchen. Nichts Klassisches bitte. Das erinnert mich an die Klavierlehrerin meiner Kindheit: Misses Hare. Vermutlich war sie eine nette Lady, aber in meiner Erinnerung ist sie eine Sadistin, die mich mit Tonleitern quälte. Ich habe mich drei Monate lang klaglos durch das Lehrbuch mit all den französischen Schlafliedern und komischen polnischen Tänzen gequält - denn bald würde ich "Swanee River" lernen. Aber als der große Tag da war und Misses Hare die Seite aufschlug, las sie nur mit spitzen Lippen den Untertitel vor: "Negro-Spiritual, mit leichten Synkopen? Gütiger Gott, das lassen wir lieber" - und blätterte um zu "Le Tigre et L'Elephant" oder irgend einem anderen zickigen Albtraum. Von da an gingen wir getrennte Wege.

Wie fanden Sie dann zum Blues?

Laurie: Die Erinnerung ist verschwommen, aber ich muss so elf, zwölf gewesen sein, als ich im Autoradio meines Bruders einen Blues hörte - ich glaube "I can't quit you baby" von Wille Dixon. Es war, als hätte ich schon immer gewusst, dass diese Musik da draußen ist. Meine Nackenhaare stellten sich auf, und mein ganzes Leben war wie verändert. Seitdem hat der Blues mich nicht mehr losgelassen.

Dabei haben Sie als Jugendlicher die Punk-Bewegung in England miterlebt. Hat Sie das völlig kalt gelassen?

Laurie: Punk und Pop sind an mir vorbeigegangen. Ich hatte meine wahre Liebe ja schon gefunden. Alles andere seither konnte nicht mithalten - sicher, auch ein guter Popsong kann mir gefallen, aber ich lege solche Platten nicht auf. Es ist nicht die Musik, der ich mich zuwende und die mich bewegt.

Sie schreiben im Booklet Ihrer CD, der Blues bringe Sie zum Heulen, Tanzen und Lachen - und stimuliere Sie auch zu anderen Aktivitäten, die Sie auf einer CD für die ganze Familie aber nicht erwähnen wollen. Da reden wir von Sex, oder?

Laurie: Klar, der Blues kann erotisierend wirken. Manchmal ganz frei heraus - in vielen Songtexten geht es ganz eindeutig um Sex.

Gut, im Blues wird über Sex gesungen, aber sind die behäbig-meditativen Rhythmen auch in dem Sinne stimulierend, wie es Soul- und Dancefloor-Musik ist?

Laurie: Na gut, einigen wir uns darauf, dass der Groove des Blues vielleicht nicht sexy ist, aber er kann sehr sinnlich sein.

Viele Geschichten des Blues handeln von Alkohol, Abstürzen oder Entbehrungen, von Männern, die ihre Frauen verlassen oder die selbst von ihnen verlassen werden. ..

Laurie: Da haben Sie aber einen sehr verengten Blick auf den Blues. Für mich ist es große Musik. In ihr steckt viel Melancholie und Traurigkeit, aber genauso viel Witz und Lebensfreude. Ich sehe den Blues als perfekt ausbalanciertes Abbild des gesamten Lebens. Deshalb kann er die Menschen traurig machen, aber auch glücklich.

Sie selbst haben offen über Ihre depressiven Phasen gesprochen, Sie machten eine Therapie. Haben die Klagelieder des Blues für Sie vor dem Hintergrund eine andere, eine tiefere Bedeutung?

Laurie: Es stimmt schon, ich litt nicht nur unter ein bisschen Traurigkeit. Da lastete definitiv mehr auf meinen Schultern. Aber die Therapie half mir enorm. Heute habe ich gute und schlechte Tage, wie jedermann. Davon mal abgesehen halte ich aber die Vorstellung für ausgemachten Quatsch, man müsse gelitten haben oder schwarz sein, um den Blues spielen zu können.

Das habe ich auch nicht behauptet.

Laurie: Ich weiß. Was ich sagen wollte, ist: Ich respektiere die Veteranen des Blues mehr als jeder andere. Aber ihre Musik sollte nun nicht in einer Glasvitrine stehen, mit der Aufschrift "Nur zur Verwendung durch ältere schwarze Herren". Auf diese Weise würde der Blues aussterben. Das wäre so, als würde man festlegen, dass Shakespeare nur im Londoner Globe-Theatre gespielt werden dürfte und Bach nur dann authentisch ist, wenn er von Deutschen in Strumpfhosen vorgetragen würde. Das sind doch Klischees.

Sie werden zugeben müssen, dass sich die Wahrnehmung des Blues heute oft auf Klischees reduziert: "Woke up this morning, my baby left me".

Laurie: Wenn Sie aus Blues-Songs nicht mehr heraushören, haben Sie, mit Verlaub, nicht aufmerksam genug zugehört. Für mich ist das ganz und gar nicht so. Vielleicht sagen Leute, die nicht auf Opern stehen, ja auch dasselbe über die Oper, und andere über bestimmte Malerei: "Sieht alles gleich aus." Da kann ich nur sagen: Seht besser hin! Es gibt immer diese leicht überhebliche, oberflächliche Art, über den Blues zu schreiben. Ich sage: Hört besser hin! Es gibt einen endlosen Reichtum an Geschichten, Details und Gefühlen, die in jedem Song enthalten sind.

Worauf ich hinaus will: Die Grundstimmung dieser Musikrichtung hat sich seit hundert Jahren kaum verändert. Die Blues-Legende Leon Redbone sagte mal: "Der Blues ist nichts als ein guter Mann, der sich schlecht fühlt." Hat der Blues für jüngere Musiker heute noch eine Relevanz?

Laurie: Ach! Nennen Sie mir doch mal irgendeine Stimmung, die Ihnen im Blues fehlt …

Wie wäre es zum Beispiel mit Aufbegehren, Aggression, Rebellion?

Laurie: Es gibt eine Million wütender Bluessongs! Hören Sie sich nur mal die Songs von Howlin Wolf an, die sind zum Teil richtig wütend. Der erste Song, den der Bluesstar Leadbelly je geschrieben hat, ist eine wütende Klage darüber, dass man dem schwarzen Boxer Jack Johnson wegen seiner Hautfarbe die Mitfahrt auf der Titanic verweigert hatte. Es gibt jede Menge Wut im Blues, so wie jede andere Emotion. Das hat auch Leon Redbone so gesehen - egal, welche markigen Einzeiler Journalisten aus seinen Interviews herausfingern.

Jetzt klingen Sie doch ein bisschen wie "Dr. House".

Laurie: Ich hoffe dennoch, es war nicht so einschüchternd, wie Sie befürchtet haben.