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Holger Friedrich Holger Friedrich: Stasi-Vergangenheit des Verlegers füllt Opfer- und eine Täter-Akte

Von Christian Eger 18.12.2019, 09:00
Verleger Holger Friedrich und seine Frau  Silke Friedrich.
Verleger Holger Friedrich und seine Frau  Silke Friedrich. dpa/britta pedersen

Halle (Saale)/Berlin - Es ging dann doch sehr schnell. Drei Wochen brauchten Marianne Birthler, die ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, um die Stasi-Akten des Berliner Unternehmers Holger Friedrich zu sichten, der im September mit dem Berliner Verlag die Berliner Zeitung erworben hatte. Allein diesem Umstand ist das öffentliche Interesse geschuldet, das nach der Enthüllung der Stasi-Mitarbeit des Verlegers für Schlagzeilen sorgte. Friedrich hatte die Redaktion nicht über diese biografische Tatsache informiert. Die Zeitung bat Birthler und Kowalczuk, Licht ins Dunkel zu bringen. Am Wochenende veröffentlichte das Blatt die Befunde: sechs Seiten über die Vergangenheit des Verlegers. Das gab es noch nie.

Über die Website der Berliner Zeitung und der Robert-Havemann-Gesellschaft lief die unentgeltlich gefertigte Expertise bereits am Mittwoch vergangener Woche. Für einige nicht schnell genug. Stunden vorher ging das Rennen um die erste Meldung und Meinung los. Von „mindestens“ zehn Inoffiziellen Mitarbeitern, die auf Friedrich angesetzt gewesen sein sollen, sprach die „Zeit“. Dass „alles ganz anders“ sei, als bislang vermutet wurde, erklärten Andere. Unsinn war beides. Die DDR sieht nie „anders“ aus, man sieht nur vieles genauer, wenn man die Dinge zur Kenntnis nimmt, wie sie waren, und nicht - was freilich schwer ist -, wie man sich diese wünscht.

Ersponnenes im Spind

Was zeigen die Dokumente? Die bieten eine Opfer- und eine Täter-Akte; erstere war bislang unbekannt. Friedrich, 1966 in Ost-Berlin geboren, beendete 1983 die Polytechnische Oberschule und lernte den Beruf des Maschinen- und Anlagenmonteurs, als der er 1986 im VEB Kühlautomat in Berlin arbeitete. Im selben Jahr trat er in die SED ein; zu einem dreijährigen Dienst als Unteroffizier hatte er sich verpflichtet. Im Herbst 1986 begann der Wehrdienst in Parchim. Dass er sich im April 1987 einmal „unerlaubt vom Standort“ entfernt habe, melden die Akten. Um den Aufenthalt festzustellen, wurde Friedrichs Spind in der Kaserne geöffnet.

In dem wurde ein nie abgeschickter Brief gefunden, in dem der Unteroffiziersschüler von der Gründung einer Kämpfergruppe schwadronierte: „Ich darf dich begrüßen in unserer Mitte der Kämpfer gegen Geld und zu viel Macht!“ Von Aktionen nach dem Vorbild der Roten Brigaden und der Rote Armee Fraktion ist die Rede. Ersponnenes, was der Texteinschub bestätigt: „Schnitt: Falls irgend jemand diese Zeilen liest, für den sie nicht bestimmt sind, so möge ihm verkündet sein, dies ist ein Scherz, ich gebe zu ein schlechter.“ Für die Stasi war es vor allem ein guter Anlass, um den SED-Genossen Friedrich in ihre Dienste zu bringen. Der machte immer wieder mit starken Worten auf sich aufmerksam.

Im November 1987 beschloss die Stasi, den redseligen Unteroffizier als Informanten zu gewinnen. Mit Hinweisen auf eine angebliche Republikflucht (mit 16 war Friedrich einmal folgenlos in der Nähe der ungarisch-österreichischen Grenze festgestellt worden) wurde Friedrich zusätzlich unter Druck gesetzt. Laut Akten „bot“ Friedrich im November „dem MfS seine Unterstützung“ an. Im Januar 1988 begann er, im Stasi-Auftrag „Personen aus seinem Umkreis“ schriftlich zu belasten. „Auf Grund der erneuten positiven Haltung“ zur Zusammenarbeit wurde Friedrich im Mai 1988 als IM „Peter Bernstein“ gewonnen. Bei Lichte besehen ein gewöhnlicher IM-Verlauf. Zwölf Mal hatte er sich von Dezember 1987 an mit seinem Führungsoffizier getroffen. Zwölf Berichte gibt es, in denen er über etwa 20 Personen berichtete. Im Februar 1989, mit dem Wechsel des Führungsoffiziers, zog er sich aus der IM-Tätigkeit zurück.

Birthler und Kowalczuk bewerten den Fall sehr vorsichtig. Sie stellen fest, dass Friedrich unter Druck gesetzt wurde, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden; dass die Stasi gar nichts gegen ihn in der Hand hatte, konnte Friedrich nicht wissen, der zur Mitarbeit bereit war.

Deren Folgen sind schwer zu benennen. „Die Auswirkungen von IM-Berichten lassen sich fast nie aus den IM-Vorgängen erkennen“, erklären Birthler und Kowalczuk. Friedrich habe „überwiegend Offenkundiges“ berichtet. Ein „erhebliches Einschüchterungspotenzial“ sei in einem Fall nicht auszuschließen, in einem anderen Fall führte es zu einer „strafrechtlichen Belehrung“.

Kein Persilschein

Von einem Persilschein kann hier keine Rede sein. Entgegen mancher Meldung, wurde Friedrich laut Birthler und Kowalczuk keinesfalls „erpresst“, sondern „gepresst“; das ist ein Unterschied: Weniger als „genötigt“. Unter „Druck“ standen viele Menschen im Osten; das ist das Wesen der Diktatur. Die Schlüsse, die daraus zu ziehen waren, sind hingegen einzeln verantwortete. Auch der, in die SED ein- oder einen Unteroffiziersdienst anzutreten.

„Die oft von IM zu hörende Einschätzung, ,man habe niemandem geschadet’, müsste korrekt heißen: ,man habe niemandem schaden wollen’“, schreiben Birthler und Kowalczuk. „Offenkundiges“ heißt nicht Folgenloses. Auch im Auge des Spitzels „positive“ oder scheinbar irrelevante Informationen konnten „das berühmte fehlende Teil im Puzzle darstellen“. Es bleibt am Ende die Entscheidung, sich am IM-Einsatz beteiligt zu haben.

Roland Jahn, Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, sagte dieser Tage im Radio: Ob ein Taxifahrer bei der Stasi gewesen sei, das ist nicht so wichtig. Man erwarte von ihm nur, zur richtigen Adresse gebracht zu werden. Das Urteil über andere Berufsgruppen überließ er den Zuhörern.

Man wolle jetzt „das Thema einer adäquaten Aufarbeitung der DDR-Geschichte“ begleiten, teilte die Berliner Zeitung mit. Offenbar braucht es dazu Anlässe. (mz)

››Der Expertenbericht im Internet:www.havemann-gesellschaft.de (mz)