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Literatur Historische Romane als Spezialität: Hilary Mantel ist tot

Die vielfach ausgezeichnete, britische Autorin Hilary Mantel ist mit historischen Romanen weltberühmt geworden. Nun ist sie gestorben.

Von Christoph Meyer und Lisa Forster, dpa Aktualisiert: 17.10.2022, 15:33
Die britische Booker-Preisträgerin Hilary Mantel ist gestorben.
Die britische Booker-Preisträgerin Hilary Mantel ist gestorben. Yui Mok/PA Wire/dpa

London - Mit Romanen über die Zeit des englischen Tudor-Königs Henry VIII. wurde sie zu einer der wichtigsten Autorinnen der Gegenwart: Die britische Schriftstellerin Hilary Mantel ist tot. Wie ihr Verlag der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge am Freitag mitteilte, starb Mantel „plötzlich, aber friedlich“ im Kreise ihrer Familie. Sie wurde 70 Jahre alt.

„Unsere Gedanken sind bei ihren Freunden und ihrer Familie, besonders ihrem Mann Gerald. Das ist ein verheerender Verlust und wir können nur dankbar sein, dass sie uns so ein grandioses Werk hinterlassen hat“, hieß es in einer Twitter-Mitteilung des Verlags HarperCollins. Mantel starb demnach bereits am Donnerstag.

Die vielfach ausgezeichnete Autorin, Kritikerin und Juristin wurde mit historischen Romanen weltberühmt. Für den Roman „Wölfe“ wurde sie 2009 mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Mit dem Folgeroman „Falken“ gewann Mantel 2012 den Preis erneut. Beides sind akribisch recherchierte historische Romane über das England des 16. Jahrhunderts. Das Buch „Spiegel und Licht“ vervollständigte die Trilogie. Insgesamt veröffentlichte sie 17 Romane.

HarperCollins würdigte Mantel als „eine der größten englischen Erzählerinnen dieses Jahrhunderts. Ihre bewunderten Werke werden als moderne Klassiker angesehen.“

Ein „Genie verloren“

Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling postete als Reaktion auf die Nachricht vom Tod Mantels auf Twitter: „Wir haben ein Genie verloren.“ Auch Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon würdigte Mantel: „Es ist unmöglich, die Bedeutung des literarischen Vermächtnisses zu unterschätzen, das Hilary Mantel hinterlassen hat.“

Mantel wurde 1952 in der englischen Ortschaft Glossop nahe Manchester in eine streng katholische Familie mit irischen Wurzeln geboren. Nach dem Jurastudium in London arbeitete sie zunächst als Sozialarbeiterin. Mit ihrem Mann, Gerald McEwan, den sie 1972 heiratete, verbrachte sie laut der Zeitung „Guardian“ mehrere Jahre in Botswana und Saudi-Arabien. Das Paar ließ sich 1981 scheiden, heiratete aber ein Jahr später erneut.

Die strenge katholische Erziehung schlägt sich in ihren Büchern nieder: Häufig spielen übernatürliche Mächte wie der Teufel oder Geister eine Rolle.

Doch prägend war vor allem ihr Leiden an der gynäkologischen Erkrankung Endometriose, die sie seit dem Jugendalter begleitete, aber erst im Alter von 27 diagnostiziert wurde. Nach einer schweren Operation verlor sie die Fähigkeit, Kinder zu bekommen.

„Die verheerende Kette von Konsequenzen verfolgt mich bis heute. Alles, was ich erreicht habe, kam trotz dieser Krankheit“, reflektierte sie im Vorwort eines Endometriose-Ratgebers.

Das Leben von Leid bestimmt

Dass ihr eigenes Leiden ihr Leben und Werk bestimmt hat, daraus hat Hilary Mantel nie einen Hehl gemacht. Ihre – oft hässlichen - Protagonisten übergeben sich, ihre häusliche Umgebung ekelt sie an, sie leiden und wollen sich dafür rächen.

Ihr Debütroman „Every Day is Mother's Day“ (dt. Titel „Jeder Tag ist Muttertag“, Dumont) erschien 1985. Ihr erster historischer Roman „A Place of Greater Safety“ (1992, auf Deutsch 2012 erschienen als „Brüder“) erzählt den Lebenslauf der drei Revolutionäre Danton, Robespierre und Desmoulins vor und nach dem Ausbruch der Französischen Revolution.

Von Kritikern wurde Mantel viel gelobt, kommerziellen Erfolg hatte sie allerdings erst mit ihrem Roman „Wölfe“. Das Buch spielt in der Zeit, in der sich England unter König Henry VIII. (1509-1547) von der katholischen Kirche löste. Erzählt wird aus der Perspektive des Lordkanzlers Thomas Cromwell. Dem „Guardian“ zufolge wurden von der „Wölfe“-Trilogie weltweit mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft, die in 41 Sprachen übersetzt wurden. Die beiden ersten Bände griff die Royal Shakespeare Company als Bühnenadaptionen auf.

1990 wurde sie in die Royal Society of Literature aufgenommen. Im Jahr 2014 erhielt sie vom britischen Königshaus den Ritterschlag und durfte sich fortan „Dame“ nennen - das weibliche Gegenstück zum „Sir“.

Erst Anfang September hatte die „Financial Times“ ein Interview mit ihr veröffentlicht. Damals sagte sie auf die Frage, wie fit sie sei: „Meine Gesundheit ist unvorhersehbar und eine tägliche Quelle der Spannung(...)“. Als sie gefragt wurde, ob sie an ein Leben nach dem Tod glaube, antwortete sie mit „Ja. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es funktionieren könnte. Aber das Universum ist nicht beschränkt durch meine Vorstellungskraft.“