Hermann Kant Hermann Kant: Patchwork-Arbeiten im Haus am See
Halle (Saale)/MZ. - "Patchwork" sind die 24 Seiten Kleinprosa überschrieben, mit denen Hermann Kant seinen jüngsten Erzählband "Lebenslauf, zweiter Absatz" beschließt. Ein Buch, das berühmte Kant-Geschichten aus fünf Jahrzehnten versammelt wie "Bronzezeit" oder "Der dritte Nagel". Darin ist "Patchwork" die eigentliche Überraschung: Nämlich die einzige neue, bislang unveröffentlichte Erzählung. Ein Alterswerk also, aber keine Erzählung. Mehr so ein lang gestrecktes, temperiert heiteres Feuilleton über das Zusammenstoppeln von Schreibstoffen.
Man liest das schon bald mehr im Hinblick auf die Verfasstheit des Autors als auf die Story hin, die es nicht gibt. Und man darf in dem Ich-Erzähler tatsächlich Hermann Kant entdecken. Einen Autor, der sich im Nest Prälank bei Neustrelitz im Südmecklenburgischen festgesetzt hat, der erzählerisch keine harten Bretter mehr bohrt und der nicht mit wehenden Fahnen von seinem Haus am See aus zu Lesungen fährt. Und den ab und an die Gicht heimsucht, etwas, das keine Krankheit, sondern "eine Teufelei genannt werden sollte". Wie man trotz Gicht ein Auto zu einer Lesung ins Brandenburgische lenkt, davon erzählt Kants "Patchwork" auch. Und von dem gar nicht so einfachen Alltag eines Schreibers, der heute 85 Jahre alt wird.
Und der einmal der politisch mächtigste Autor der DDR war, dessen Schriftstellerverband der Hamburger Gärtnersohn von 1978 bis Ende 1989 führte, also durch die turbulenten Vorwende-Jahre, die die Vor-Ende Jahren waren. Über seinen Platz in der nachkriegsdeutschen Literaturgeschichte muss sich der Autor von Büchern wie "Die Aula" (1965) oder "Der Aufenthalt" (1977), die Erfolgstitel aus eigener Kraft waren, keine Sorgen machen; mit der Gegenwart sieht es anders aus. Kant war stets ein origineller, handwerklich glanzvoller Autor, von dem man intelligente Unterhaltung erwarten durfte. Große Reflexionen über Land und Lage lieferte er gern auch, wobei er sich aber zuverlässig im Einerseits-Andererseits verdrehte: Schön galt ihm als klar gesagt. Er selbst nannte es sein "Formulierium tremens".
Zum Zeitgeschichtlichen hat sich Kant mehr als andere Kader-Schriftsteller geäußert. Wobei es nebensächlich ist, ob Kant offiziell als Stasi-Spitzel angestellt war oder nicht. Mit welchem Mandat er Kollegen verhöhnte und aus dem Verband ausschloss. Nur interessiert man sich hierzulande eben mehr für den Stasi-Schauder als für die SED, deren "Schild und Schwert" die Geheimpolizei war. Fragen, die Hermann Kant nicht umtreiben müssen, der "dieses Regime in Ordnung fand", mit "all seinen Lücken und Fehlern". Und dem das Heute wenig behagt. Das "Patchwork"-Stück endet mit der Einladung des Erzählers an seinen Freund Hinnerk: "Manierlich lud ich ihn zum nahen zwanzigsten der Dritter-Oktober-Feste ein. Welchen Grund ich sähe, das dröhnende Datum zu feiern? Immerhin, gesetzt, wir gingen von vierzig Jahren Verweildauer aus, wäre die Hälfte dann um."
Hermann Kant: Lebenslauf, zweiter Absatz, Erzählungen,Aufbau Verlag, Berlin, 256 Seiten, 18,95 Euro