Hermann Gerlinger Hermann Gerlinger: Leben mit der Kunst auf Zeit
Halle/MZ. - Als Zeitungen meldeten,dass eine expressionistische Privatsammlungzu den Malern der Künstlergemeinschaft "DieBrücke" mit 800 Werken für zwei Jahre alsLeihgabe in die Staatliche Galerie Moritzburgnach Halle kommt, löste die Nachricht lokaleEuphorie aus. Eine Privatsammlung von solchemAusmaß? Und wer bitte ist der Enthusiast,der diese hochrangigen Kunstwerke zusammengetragen hat und sie mit dieser noblen Leihgabeöffentlich macht?
Hermann Gerlinger heißt er, stammt aus Würzburgund war bis vor Jahren in Kunstkreisen nochnahezu ein Unbekannter. Bei seinem letztenBesuch im Mai in Halle findet der 69-JährigeZeit für ein Gespräch. Und er gibt bereitwilligAuskunft, über sich, über die Umstände, dieihn zum Sammler gemacht haben und natürlichüber den reichen Schatz an Grafiken und Bildern.
Die Hochachtung vor der Kunst, sagt Gerlinger,sei schon früh in seinem Elternhaus gewecktworden. Von den Vorfahren, die eine traditionsreicheGlockengießerei unterhielten, seien wenigeStücke erhalten geblieben. Die wurden in derFamilie wie Reliquien gehütet und seien vonihm schon als Kind bewundert worden. Aberausschlaggebend für seine spätere Sammelleidenschaftsei das noch nicht gewesen, erinnert sichGerlinger. Nach Schul- und Gymnasiumsbesuchin Würzburg folgte eine Hochschulstudium inMünchen zum Diplom-Ingenieur für Heizungs-und Haustechnik.
Weitere Lebensstationen waren vorgezeichnet:Er übernahm später den vom Vater gegründetenmittelständischen Betrieb und führte ihn mitFreude und Erfolg bis zum Verkauf des Unternehmensvor zwölf Jahren. Nach dem Anfang seiner Kunstsammlunggefragt, kommt Gerlinger ins Schwärmen. Natürlicherinnere er sich an den Beginn. InMünchen war das, wo er während des Studiumsin einer Galerie einen Holzschnitt von KarlSchmidt-Rottluff entdeckte.
Spontan weckte das grafische Blatt in ihmden Wunsch, mit dem Kunstwerk leben zu wollen.Oft ist Gerlinger nach dem Preis dafür gefragtworden. "Ich weiß es wirklich nicht mehr genau",sagt er, "aber er muss wohl unter 50 Markgelegen haben." Da er als Student nur übereinen kleinen Wechsel verfügte, hat er denHolzschnitt mit dem Titel "Melancholie" aufRaten bezahlt. Wenn Hermann Gerlinger überseine in 40 Jahren gewachsene Sammlung spricht,betont er immer wieder, dass er nicht überunbegrenzte Mittel verfügte ("Ich war einmittelständischer Unternehmer, wie es in Deutschlandtausende gibt"). Aber er habe sein Geld nurfür Kunst ausgegeben.
Er hat sich übrigens nie als Eigentümer vonKunstwerken verstanden; vielmehr habe er stetsnur "einen Kaufpreis gezahlt als Leihgebührfür die Freude, mit Kunstwerken für eine unbestimmteZeit leben zu können." Jede Neuwerbung regtezu intensiver Beschäftigung mit dieser Kunstepochean und damit wuchsen auch die Kenntnisse überdie Künstler der "Brücke". Inzwischen giltGerlinger als profunder Kenner des Expressionismus,dessen Ruf weithin geschätzt wird.
Wer über Jahrzehnte eine solche Fülle hochrangigerKunstwerke zusammenträgt, stellt natürlichÜberlegungen an, das Resultat öffentlichzugänglich zu machen. Zuerst hat Gerlingerseiner Heimatstadt das Angebot unterbreitet,die Sammlung zu übernehmen. Nach langenVerhandlungen schließlich erfolgte 1992 eine Absage; Würzburg sah sich außerstande,für die hochkarätige "Brücke"-Kunst einenPlatz zu finden. Danach bot der Sammler seinLebenswerk dem Schleswig-Holsteinischen LandesmuseumSchloss Gottorf an. Dortwurde der Vorschlag aufgegriffen,und die Ausstellung setzte selbst Kenner inErstaunen.
Nun macht die Sammlung des Hermann Gerlinger,der 1995 in Davos für seine Verdienste umForschungen und Publikationen zu Leben undWerk der "Brücke"-Maler mit dem Ernst-Ludwig-Kirchner-Preisgeehrt wurde, in Halle Station. Eine Ehrefür die Stadt und ein künstlerisches Ereignisohnehin.
Ausstellungs-Eröffnung in der Moritzburgam 8. Juni, 16 Uhr.