Herbert Grönemeyer Herbert Grönemeyer: Leipzig am Meer
Leipzig/MZ. - Der Blick zurück hat ihm im ersten Augenblick die Sprache verschlagen: Stumm blinzelt er in das Abendlicht, hält kurz den Atem an und kaut auf seiner Unterlippe. Dann aber schüttelt Herbert Grönemeyer entschlossen den Kopf, lächelt noch einmal verlegen und spricht ein Machtwort gegen die eigene Rührung: "Wahnsinn" wird er an diesem Abend auf der Leipziger Festwiese noch öfter sagen. Und damit Recht behalten.
Es ist das größte Konzert einer an Superlativen reichen Tournee, die auf Eintrittskarten und Getränkebechern wahlweise "Das Beste" oder "Alles Gute von Gestern bis Mensch" verspricht. 70000 Fans sind an diesem Sonntagabend den Wegweisern gefolgt, die mit weißen Banderolen überklebt sind: "Ausverkauft! Danke Leipzig!". Und wer an Art und Ort dennoch Zweifel hegen sollte, wird von olivgrünen T-Shirts belehrt: Das Etikett "Mensch" spannt sich über der Brust, den Rücken deckt die Chiffre "Grönemeyer 03 Leipzig". Das ist mehr als ein Routine-Termin in der Champions League - es ist ein Auswärtsspiel mit Heimvorteil und regelwidriger Verlängerung.
Anderthalb Stunden dauert das reguläre Set mit 17 Titeln, die Zugaben beanspruchen die selbe Dauer: Viel Zeit für brennende Feuerzeuge und geschwenkte Arme, viel Zeit auch für die Wegmarken einer einzigartigen Karriere. Das bühnenhohe Tuch mit dem schwarzen Sonnenuntergang, der sich auf dem Cover der aktuellen CD zu einer Korona rundet, ist schon nach dem langen Marsch des Meisters durch die Massen gefallen, jetzt brennen und bersten die Herzen auf den Bildschirmen: "Was soll das?".
Der Titel führt in die Mitte eines Mannes, für den es keine banalen Fragen gibt und der einfache Antworten nicht scheut. Auf der langen Reise von "Bochum" durch "Grönland" nach "Neuland" hat er sich seine Reime gemacht und das Tanzen gelernt, ohne auf der Stelle zu treten. Noch immer aber kann er vor allem deswegen begeistern, weil er selbst begeistert ist.
Wenn er vor "Halt mich" die Botschaft eines Fans überbringt, dass sich "Sonne" doch bitte wieder der "Blume" zuwenden möge, wenn er seinen Klassiker "Männer" als ein Lied über "Archetypen wie mich" ankündigt oder seine alte Ruhrpott-Liebe beinahe zur "Blume am Revers" vernuschelt - immer hält Grönemeyer die Balance zwischen der überlebensgroßen Geste eines Rockstars und jener Authentizität, die in seiner Branche Mangelware ist. Dies zeigt vor allem "Der Weg", an dessen Ende sich der Sänger dem Jubel durch schnellen Wechsel zur Hymne "Mensch" entzieht.
Natürlich serviert er auch "Alkohol" und "Musik nur wenn sie laut ist", natürlich geht der "Vollmond" auf und kreisen die "Flugzeuge im Bauch". Einen Schlüssel zum Phänomen Grönemeyer aber liefert der Titel "Unbewohnt", bei dem im Hintergrund Bilder von Hochhaus-Siedlungen und dunkle Silhouetten von Passanten flimmern. Denn dies ist ein Lied für Städtebewohner - mit einem genauen Blick für die Bewegungsunschärfe und einem Ziel vor den Augen: "Zum Meer".
Am 13. Juni 18.30 Uhr spielt Grönemeyer in Ferropolis.