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Herbert Grönemeyer in Leipzig Herbert Grönemeyer in Leipzig: «Männer sind auch Menschen...»

Von Kirsten Begert 13.11.2002, 12:56
Herbert Grönemeyer ist zurück - und seine Fans genießen kollektives Singen und Feiern. (Foto: dpa)
Herbert Grönemeyer ist zurück - und seine Fans genießen kollektives Singen und Feiern. (Foto: dpa) dpa

Leipzig/MZ. - Es ist alles anders geblieben: Herbert Grönemeyer singt nicht nur, er elektrisiert, holt sich die Euphorie der Massen. Und die lassen sich ungeniert von seinen rockpoetischen Gefühlswogen mitnehmen. Rund zehntausend Fans feierten am Dienstag in der Arena Leipzig den Musiker, der sich nach vier Jahren am dritten Tag seiner Tournee "Das Beste von gestern bis Mensch" beim ostdeutschen Publikum zurückmeldete. Luft und Beleuchtung flirren, als er in Schlabberjeans durchstartete, den "Blick zurück" zu wenden, wie ein Titel des neuen Albums "Mensch" heißt.

Vom ersten Moment an ist er präsent, greifbar, hundert Prozent Herbert: ob melancholisch am Keyboard, tanzend und winkend auf einem in den Zuschauerraum ragenden Steg oder mit dem Mikrophon wie eine Trophäe in der Hand über die Bühne hetzend. Letztlich schafft er es, auch jene Zuschauer Z-TITEL: "Auch so ein Lied muss mal gesungen werden."

Herbert Grönemeyer

hochzureißen, die im bestuhlten Teil der Arena auf ihren Sitzen kleben. Gebrülltes "Los, Leipzig!" gehört zum Drive im Wechselspiel mit seinen Fans. Das kommt an: Eine anfängliche Zaghaftigkeit verschwindet, die Menge wird zur rockenden Masse, als der in London lebende Sänger nach Songs seines jüngsten Albums mit dem nachlegt, was die Herbert-Anhängerschaft seit den 18 Jahren seines Erfolges berührt: Zum Beispiel ein wuchtig-wütendes "Was soll das" mit schillernd einsetzender Band, das mit Hüftschwung und Selbstironie zelebrierte "Fanatisch" oder das seidenzarte "Halt mich", bei dem Saxofonist Frank Kirchner Gänsehaut garantiert. Und der aufgepeppte Dauerbrenner "Männer" stellt immer noch fest: "Männer sind auch Menschen" - wenn sie auch etwas sonderbar sind.

Grönemeyer schwitzt, wuschelt sich durch den rotblonden Schopf und jammert in rot-weißem Scheinwerferlicht "bitte, gib mir mein Herz zurück". Singen bedeutet bei ihm auch Schluchzen, Brüllen, Heulen. Oder einen im Kniefall fast als Stimmattacke endenden Schrei, dass es bleibt wie es war. "Auch so ein Lied muss mal gesungen werden", sagt der 46-Jährige zu den leicht frivolen "Moccaaugen", eine der Zugaben, und schmettert los.

Dem Sprachrohr vielschichtiger Gefühle von Verliebtheit, Verzweiflung, leiser Angst bis lautem Widerspruch werden auch Pannen nicht übel genommen. Sympathisch unbeholfen die Entschuldigung für einen Kabelfehler: "Zuviel Technik." Textunsicherheiten oder ein verpasster Einsatz, weil er statt am Mikrophon lieber zu lange hautnah bei den Fans war, machen seinen Charme aus. Ebenso wie das ins Publikum gereckte Mikrophon, die bubenhafte Mimik und die bildliche Lyrik, die mal mehr, mal weniger zu verstehen ist. Es überzeugt, wie der Musiker vier Jahre nach dem Krebstod seiner Frau und seines Bruders den ihm entgegen geschleuderten Jubel aufsaugt, sich von ihm aufladen lässt. Eine Gratwanderung bleibt es trotzdem.

Der pathetisch vom Streicherensemble getragene Song "Der Weg" lässt privaten Schmerz direkt werden - den Menschen Grönemeyer, der lacht und lebt und mit den Fans im Chor "Selbstmitleid" parodiert, aber auch authentisch. Bei "Mensch" ist er nach "Männer" von seinem ersten Erfolgsalbum "Bochum" angekommen: elektrischer, teils klassischer geworden und dabei experimentierfreudig geblieben. Es ist "alles auf dem Weg, unbeschwert und frei". Herbert ist ganz der alte, immer auf's Neue.