Helge Schneider wird 60 Helge Schneider wird 60: Jazz im Mund

Halle (Saale) - Er hat ein ganzes Leben im Missverständnis verbracht, Karriere gemacht, weil kaum ein Mensch verstand, was er tat, mit dieser Flokati-Perücke, den absurden Kostümen und den gehaspelten Ansagen. Der Mühlheimer Musiker und Komödiant Helge Schneider, der am Sonntag seinen 60. Geburtstag feiert, wollte ernstgenommen werden. Und je mehr er das wünschte, umso lauter lachten seine Fans.
Ein Schicksal, das Schneider stoisch ertrug. „Wenn ich die Katze am Boden festnagle und als Fußabtreter benutze oder so, dann heißt das doch nur Auseinandersetzung damit“, versuchte er sich in einem frühen Stadium seiner einzigartigen Laufbahn zu erklären. Das sei überhaupt nicht zum Lachen. „Ich mache damit sozusagen darauf aufmerksam, dass man so mit ’ner Katze nicht umgehen soll“, betonte er. „Ich bin ein Tierfreund. Ich liebe meine Frau.“
Brüllendes Gelächter für die „singende Herrentorte“, wie sich der an der Seite von studierten Jazzern wie Buddy Casino musizierende Autodidakt ohne Konservatoriumsabschluss nennt. Schneider, dessen Stimme an einen kaltgestarteten Hybriden aus Gießkanne und Bierbass erinnerte, akzeptierte spätestens nach seinem ersten Hit „Katzeklo“ vor mehr als 20 Jahren, dass es die Rolle des Clowns ist, die ihm am besten liegt.
So ist er, wie die inzwischen legendäre Geschichte einer Schneiderschen Odyssee durch Thüringen zeigt. Auf dem Weg zu einem Konzert hatte der Entertainer sich schrecklich verfahren. Er wusste selbst nicht mehr zu sagen, wo er eigentlich war, geschweige denn, wo er hinfahren sollte. Thüringen aber ist leer, niemand an der Straße, der helfen konnte. Schneider, lebenstüchtig, aber untüchtig zugleich, griff folglich zum Handy und rief um Hilfe. Dazu wählte er die Nummer eines völlig ahnungslosen Mannes im fernen Würzburg, die er wahllos eingetippt hatte.
„Hier Schneider“
„Hier Schneider“, sprach der Star dann, „sagen Sie mir mal, wie ich nach Steinach komme“. Der Angerufene war verblüfft, er kannte schließlich keinen Schneider und kein Steinach. Doch Helge klärte ihn auf, auf seine Art: „Ich gebe dort heute Abend ein Gastspiel, nur wenn ich nicht da bin, gebe ich kein Gastspiel“.
Humor ist hier immer, wenn man nicht richtig weiß, ob man lachen muss, soll oder überhaupt darf. Wobei Helge Schneider selbst sich und seine Kunst ganz anders sah. „Was ich mache, ist eigentlich Swing, Jazz, so Rhythmus“, sagte er, und bezog dabei nicht nur die Arbeit mit diversen Musikinstrumenten, sondern auch die Arbeit mit Wort und Sprache ein. „Was ich rede, ist nichts Aufgeschriebenes. Sondern das entsteht alles, wenn ich es sage“, erläuterte er. Aufgeschriebenes vorlesen könne er gar nicht.
„Mein Ding ist konzentriert horchen, was ist im Raum, und dann drauf reagieren.“ Schneiders Rede ist eine Art Freejazz, die freie Improvisation mit vorhandenem Material. „Das mögen manche Leute albern nennen, ist es ja auch“, gestand Schneider, „aber es ist auch genial, doof und superintelligent“. Vor allem aber war es dauerhaft erfolgreich. Aus dem gelernten Bauzeichner, der sich nach abgebrochener Schule und nicht beendetem Klavierstudium als Landschaftsgärtner, Dekorateur, Tierpfleger und Polsterer durchschlug, wurde einer der am meisten bejubelten deutschen Comedians.
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Der Zausel mit der Kunstmähne fabrizierte exaltierte Doppelalben wie „Es gibt Reis, Baby“, er schrieb Kriminalromane und drehte Kinofilme wie „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“ und „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“, in dem er selbst in die Rolle des Adolf Hitler schlüpfte. Sein Publikum folgte dem Multitalent, wo immer er auch Jazztrompete, Piano, Saxophon, Gitarre oder Kamm spielen wollte. Schneiders Tourneen mit Bands, die der zu spät gekommene Dadaist „Hardcore“ oder „Die Dorfschönheiten“ nannte, sind häufig ausverkauft.
Bis in sein 30. Jahr ganz und gar unbekannt, ist Helge Schneider mit 60 ein gefragter Markenname. Aber er ist auch Darsteller seiner selbst, ein Mann, dessen Rolle es ist, aus der Rolle zu fallen. Das tut er gern, das tut er mit viel Herzblut und Hingabe. Aber er kann auch anders, wie er schon Jahre zuvor bei einem Konzert auf der halleschen Peißnitzbühne gezeigt hat. Als dort aus einem fast zehntausendköpfigen Publikum immer und immer wieder Rufe nach Schneiders Standard-Skurrilitäten laut werden, wird der Helge-Mensch unter der absurden Maske des musizierenden Scherzkekses sichtbar. Helge Schneider ist genervt, er schimpft, er ist auf einmal das Gegenteil von lustig.
Der selbsternannte „Boogie-Woogie-Mann“, Liebhaber der Musik von Menuhin, Benny Goodman und Liberace, der als großes Vorbild Barbra Streisand nennt, lebte in diesem Zwiespalt zwischen Selbstwahrnehmung und Außendarstellung. Hits hatte er mit Geblödeltem, je inhaltsleerer, desto besser. Das „Mörchen-Lied“ etwa lautmalte Kokolores um den Satz „Tu mal lieber die Mörchen“. Sein letzter großer Wurf „Sommer, Sonne, Kaktus“ radebrechte knackiges Teutonen-Englisch und reimte „tauchen, trinken und essen“ auf „Hausschlüssel vergessen“.
„Pretty Joe“
Danach war auf einmal Schluss. Helge Schneider, der eben zum ersten Mal in seiner 25-jährigen Laufbahn mit einem Album auf Platz 1 in den deutschen Verkaufscharts gelandet war, verkündete auf dem Höhepunkt seinen Abschied von der Bühne. „Pretty Joe“, wie sich Schneider im vergangenen Jahr zu nennen beliebte, werde künftig nicht mehr auf Tournee gehen. „Ich bin 30 Jahre auf Tournee, ich muss jetzt auch mal zu Hause sein“, begründete er seine Entscheidung.
Doch der Rückzug mit der „kleinen Rente in die Sierra Nevada“, wo Schneider „in einem windschiefen Campingzelt“ leben und an einem „Miniaturflügel“ spielend in den Sonnenuntergang seiner Entertainer-Karriere reiten wollte, ist nun schon wieder beendet. Kaum ein Jahr nach seinem tränenreichen Abschied zieht es den einstigen „Klavierspieler des Jahres“ (2008) zurück auf die Bühnen.
Er habe „beim Vorbeigehen an einer Schaufensterscheibe“ sein Spiegelbild gesehen und spontan entschieden „für Rente bin ich doch viel zu jung!“, behauptet der Künstler, der seine anstehende Konzertreise deshalb auch „Lass knacken Oppa“ nennt.
Befeuert von einem gerade erschienenen Konzertfilm der letzten Show im Tempodrom in Berlin und einem Buch namens „Orang Utan Klaus“, das die besten Geschichten aus 30 Jahren unterwegs im Dienst der geschmackvollen Unterhaltung versammelt, gibt Schneider im Herbst kommenden Jahres zehn Konzerte im Osten Deutschlands. Hier wurde er immer schon am besten verstanden. (mz)
